Sonntag, 17. März 2024
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Parade in Polen – ein Widerspruch?

Am Samstag feierten 50.000 Menschen auf Warschaus Straßen die Liebe und Freiheit. Was vor ein paar Jahren noch undenkbar war, ist Realität geworden: Der Kulturpalast leuchtet in Regenbogenfarben, die Polizei lächelt und solidarische Hetero-Pärchen feuern den Marsch an. Alles nur Schein?

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Zwei Millionen Polen und Polinnen arbeiten  im EU-Ausland, Mobilität und Internationalität sind stark ausgeprägt. Die meisten sind stolz, „Europa“ zu sein und die „Parade für Gleichheit“ präsentierte das Land dieses Wochenende als ein offenes und liberales. Polen scheint nicht verloren, aber doch gespalten. Laut einem Bericht des weltweiten Dachverbands sexueller Minderheiten ILGA nämlich, rutscht Polen, im Ranking der LGBTI- freundlichen Länder Europas, jedes Jahr weiter ab: aktuell belegt es den 36. von gesamt 49 Plätzen.

Die Expert*innengruppe des Europarats zu Rassismus und Intoleranz stellte Ungarn und Polen in einem Bericht 2015 ein verheerendes Zeugnis aus. Der 44-seitige Länderbericht über Polen attestiert dem Land homophobe Äußerungen als immer wiederkehrendes Muster, im medialen wie politischen Diskurs. Polens Strafgesetzbuch verbiete nicht ausdrücklich Aufwiegelung zu Gewalt, Hass und Diskriminierung oder öffentliche Beleidigungen und Diffamierungen. Das gelte auch für Drohungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Laut Bericht bleiben nationalistische Gruppen in Polen das größte Problem sind und diese hätten ständigen Zulauf. Ihre Feindbilder sind klar: Feminist*innen, Minderheiten und Flüchtlinge führen das Ranking an.

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Von wegen Gerechtigkeit

Seit Herbst 2015 hat im polnischen Parlament die PiS-Partei (zu Deutsch: Recht und Gerechtigkeit) die absolute Mehrheit. Das umstrittene Gesetz zur Reform des polnischen Verfassungsgerichts, das Mediengesetz oder die Versuche, Abtreibung gänzlich zu kriminalisieren, führten immer wieder zu Rügen, Protesten, Kritik und Stellungnahmen von unterschiedlichen Seiten.

Das Erstarken der radikalen Rechten kümmert die Regierungspartei wenig, im Gegenteil – es scheint, als würde sich diese aktuell müheloser ausbreiten. Das Wettern gegen „Gender-Wahn“, Homosexuelle, Fremde und Frauenrechte ist dabei oft das verbindende Element, hinzu kommt der Nationalstolz und die populistische Verpackung der Inhalte.

Der „gute Wandel“ gilt nicht für alle

Als ich vor einiger Zeit den Verein Lambda Warszawa besuchte, fand ich die Tür nicht mehr. Alle Fahnen weg, an der Tür kein Hinweis. Man müsse nicht unnötig provozieren, heißt es. Subventionen gäbe es für progressive, kritische oder alternative Organisationen immer weniger bis gar nicht. Ein Vertreter der LGBTI-Senior*innengruppe ist trotzdem zuversichtlich und meint, dass die Zeiten schon mal schlimmer waren. Er lächelt zufrieden und erzählt von seinen Projekten gestern und heute. Die Regierung vergeht wieder, dann kommt eine schlechtere oder eine bessere, meint er zum Abschied.

Am Abend diskutiere ich in einem großen, total überfüllten Saal die politische Situation in Polen. Hate Crime, Übergriffe verbaler wie physischer Natur sind ein zunehmendes Problem in Polen, so die Zusammenfassung. Der Umgang mit NGOs lässt sich mit „Aushungern und Ersetzen“ umschreiben. Bei Wettbewerben gelten nicht mehr die Regeln des Wettbewerbs, heißt es vor allem im Kultur- und Wissenschaftsbereich.

Parada Równości 2017 Warszawa
Ewa Dziedzic

Der antifeministische und anti-LGBTI Kurs der PiS-Partei wird zusätzlich durch katholische Organisationen gestärkt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese die PiS-Partei vor und während den Wahlen unterstützt haben und nun quasi eine „Belohnung“ ihrer Unterstützung in Form von Gesetzesverschärfungen erwarten. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen ist mehr als halbherzig, die „Pille danach“ wurde verschreibungspflichtig und ist nicht mehr erhältlich. Das Budget des polnischen Ombudsmannes Adam Bodnar wurde 2016 drastisch gekürzt, weil er den Tolerantia Award erhalten hat und in Verbindung mit der „Gender-Ideologie“ gebracht wurde. Die Liste der beunruhigenden Maßnahmen scheint endlos. Mit dem „guten Wandel“ im Land, von dem die Regierung selbst spricht, hat das aus Sicht der Menschenrechtsorganisationen wenig zu tun.

Auch in Krakau brauche ich beinahe eine Lupe, um das Schild mit dem Vereinsnamen zu finden. Sichtbarkeit war und ist ein Politikum und aktuell für LGBTI-Organisationen in Polen kaum gegeben. In Breslau ist das Bild ähnlich: Es gibt viele engagierte junge und ältere Menschen, die die politischen Herausforderungen in Polen diskutieren, Proteste organisieren und über den backlash im Land beraten. Aktuell werden sie an die Wand gedrängt und aus der Öffentlichkeit verdrängt, so der Tenor. „Matka Polka“ und die kinderreiche, patriotische Hetero-Familie haben Hochsaison.

Ihr könnt uns nicht verbieten

Das erste Mal wurde die Regenbogenparade in Warschau 2001 vor 17 Jahren abgehalten. Aufmerksamkeit über Polens Grenzen hinaus bekam diese 2004, als sie vom damaligen Bürgermeister Lech Kaczyński verboten wurde. 2005 wurde der ebenso verbotene und somit „illegale“ Marsch durch Warschauer Straßen von inländischen wie ausländischen Politiker*innen unterstützt und zu einer der größten Demonstrationen nach 1989.

Mit weitreichenden Folgen für die polnische LGBTI- Community: Es gab 2005 eine erfolgreiche Klage gegen das Demoverbot beim Verfassungsgerichtshof, das EU-Parlament verabschiedete 2006 mit Blick auf Polen eine Resolution gegen Diskriminierung und Homophobie und forderte Maßnahmen. 2007 urteilte der Europäische Menschengerichtshof, dass das Verbot der Parade in Polen der Menschenrechtskonvention widerspreche. Im Jahr 2010 fand in Warschau die Europride statt – mit viel Polizeieinsatz, Gegendemonstrationen und viel unerlässliche Unterstützung aus Europa.

Ewa Dziedzic und Ulrike Lunacek bei der Parada Równości 2017 Warszawa
Ewa Dziedzic

Es ist kein Zufall, dass das heurige European Queer Greens Treffen, organisiert unter anderem von Ulrike Lunacek und Terry Reintke, in Warschau stattfand. Der österreichische Botschafter hielt wieder eine Ansprache am Beginn der Parade, 46 Botschaften unterstützen  die „Parada Równości 2017“.

Die Stimmung war fröhlich und kämpferisch zugleich. So löst sich beim längerem Hinsehen auch der vermeintliche Widerspruch auf: Polen kann es sich nicht leisten, diese Veranstaltung, auf die ganz Europa schaut, (wieder) zu verbieten. Das haben viele mutige Aktivist*innen erkämpft. Die polnische Regenbogenparade ist somit nicht nur getragen von der Freude, dass sie stattfinden kann, sondern bietet auch sonst viel Möglichkeit Protest und Unmut über die Entwicklungen im Land auszudrücken.

Sie ist nicht deshalb so sichtbar und laut, weil die Situation für LGBTI Personen im Land besser wurde, sondern obwohl und gerade deshalb, weil sie so schlecht ist.


Ewa Dziedzic ist Bundesrätin und LGBTI-Sprecherin der Grünen. Sie ist auch eine der Bundesvorsitzenden der Grünen Andersrum.

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