Freitag, 29. März 2024
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„Ich konnte nichts tun, außer zuzusehen“

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In Zusammenarbeit mit anderen deutschsprachigen Queer-Medien, allen voran QueerNews, bringen wir die Übersetzung eines Textes von Sergei Yenin über die gewaltsam aufgelöste „Slavic Pride“ in Minsk. Yenin ist der stellvertretende Vorsitzende der LGBT-Menschenrechtsgruppe GayBelarus.by – den Organisatoren der Slavic Pride. Sergei studiert klassische Philologie und schreibt für „Gay: Good As You“, das einzige LGBT Magazin Weißrusslands. Er selbst beschreibt seinen Text als „wahrscheinlich die dramatischsten 1000 Wörter, die über irgendein Gay Pride Event in diesem Jahr geschrieben wurden“

Dies ist ein Bericht von den dramatischsten 48 Stunden in meinem Leben als Schwulenaktivist in Weißrussland.

Wir waren zu viert im Taxi: Ich, Logan (ein australischer Filmemacher), Jack (sein Freund) und Chad (ein Fotograph der an dem Projekt „Walk with Pride“ arbeitet). Ich zitterte, wenn ich an die Parade dachte und an die wahrscheinlich außergewöhnlichsten Stunden, die mir wahrscheinlich bevorstanden. Aber ich wollte nicht, dass meine Freunde sich Sorgen machten. Der Taxifahrer bemerkte, dass mit dem Ort, wo er uns aussteigen lassen sollte, etwas nicht in Ordnung war.

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„Was geht hier vor? Wer seid Ihr?“, fragte er mich. „Touristen, auf dem Weg zum Hotel“, antwortete ich. Es war der Platz, wo die Parade stattfinden sollte, und er befand sich in der Nähe eines Hotels.

Logan richtete seine Kamera her und Jack nahm ein Notizbuch und einen Stift in die Hand: „Ich hoffe, dass ich wie ein Journalist aussehe,“ bemerkte er.

Sieben Taxis blieben in unmittelbarer Nähe stehen und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Slavic Pride stiegen aus. Der Platz war voller Journalisten, die einsatzbereit waren. Es sah wie ein Flashmob aus: wir gingen alle die Straße entlang und plötzlich nahm einer von uns eine 12 Meter lange Regenbogenfahne aus seiner Tasche. Eine Gruppe von Russen nahm kleinere Fahnen und Poster herus, ich griff nach der riesigen Fahne, alle liefen los und riefen unsere Slogans: „Homophobie ist krank“, „Weißrussland frei von Homophobie“ etc.

Die Journalisten hatten nicht umsonst gewartet: Als sie bemerkten, dass die 12-Meter Fahne präsentiert wurde, richteten sie ihre Kameras auf uns. Wir hielten beim Weißrussischen Institut der Künste, breiteten die Fahne aus und riefen unsere Slogans.

Nach einiger Zeit setzten wir unseren Marsch fort. Ich bemerkte zwei Journalisten, die stritten, weil einer am Fotoplatz des anderen stand und musste lächeln. Vermutlich hatte ich vorher sehr ernst ausgesehen.

Plötzlich blieb ein Polizeiwagen voll mit großen, bedrohlichen Typen stehen. Die Türen gingen auf und eine ganze Armee von Polizisten rannten auf uns zu. Oleg und ich verloren die Beherrschung und liefen zurück. In meinem Kopf geriet alles durcheinander und ich wusste nicht mehr, wohin ich genau lief.

Es gab nur ein Ziel: Weg von diesem Massaker. Als ich an einem der Journalisten vorbei lief, sah ich, dass er mit einem Ei nach uns warf. Er traf nicht, aber ich lief dann noch schneller.

Zwei Polizisten in Zivil waren für mich ein wirkliches Hindernis: ich erkannte nur an dem Walkie-Talkie, das einer der beiden in der Tasche stecken hatte, dass diese Männer von der Polizei ware. Der eine von ihnen stieß mich mit großer Behendigkeit mit dem Knie gegen das Bein und warf mich zu Boden.

Als ich meine Brille richtete, schnappte er mich am Kragen und zog mich eine Weile hinter sich her. Mit einer raschen Bewegung zog er mich auf und stieß mir in den Oberkörper. Ich kann mich noch an sein Gesicht während dieser harten Behandlung erinnern: seine Augen waren voller Ärger und sein Mund war von Hass verformt. Gleichzeitig verstand er, das ich sein Ziel war und dass ich vielleicht halb so alt war wie er. Er war nicht mehr menschlich …

Ein anderer schnappte meinen Kragen, um mich am Wegrennen zu hindern.

Dann sah ich Oleg. Er hatte Schmerzen, weil er an einer Magenentzündung leidet. Keiner kümmerte sich um sein Leiden, die Polizei war nur darauf konzentriert, wie sie uns zu einem Kommisariat bringen könnte. Die Mutter eines unserer Aktivisten erschien plötzlich vor uns und stellte sich als Ärztin vor, um uns aus der Gefahr zu bringen. Sie wurde völlig ignoriert, und wir wurden ins Polizeiauto gestoßen.

Wir saßen auf dem Boden des Polizeikommisariats. Ich fühlte, wie Blut über meine Arme hinunterlief. Mein Shirt was von dunkelroten Flecken übersät. Ich riss mich zusammen und meldete, dass wir einen Rettungswagen brauchten. Muss ich erwähnen, dass meine Aussage selbverständlich ignoriert wurde?

Dann wurden die anderen hereingebracht. Meine Freunde wurden aus dem anderen Polizeiauto gestoßen und wurden gezwungen, ins Polizeikommisariat zu gehen. Sie sahen so zerbrechlich aus neben den großen kräftigen Polizisten. Nach dem kurzen Fußweg folgten die Tritte. Ich konnte nichts tun, außer zuzusehen. Ich fühlte mich so hilflos.

Dann brachte die Polizei die 12 Meter lange Regenbogenfahne ins Zimmer. Sie legten sie auf den Boden und fingen an, sich über uns lustig zu machen. Einer meiner Freunde erzählte mir, dass sie ihm im Polizeiauto einen Knüppel in den Mund gesteckt hatten und ihm drohten, dass sie ihm den in den Hintern stecken würden, wenn er versuchte, den Knüppel zu lutschen.

Dann brachten sie uns zum Verhör in einen anderen Raum. Wir verbrachten noch zwei Stunden hier. Sie erniedrigten uns die ganze Zeit. Einer von ihnen hielt die ganze Zeit eine Gaskartusche vor mein Gesicht und sagt: „Ich werde dir jetzt deine verdammten Augen verbrennen. Wir fürchteten uns schrecklich. Wir hätten uns nie träumen lassen, dass der sicherste Ort auf der Welt so unsicher sein kann…

Wir wurden am Montag freigelassen. Auf diesen Moment hatten wir die ganze Zeit gewartet. Zwei Nächte in der Polizeistation erschienen uns wie eine Ewigkeit. Nun, da ich frei bin, kann ich es nicht für mich behalten. Es sieht so aus, als hätte ich in meinem Land keine Redefreiheit, aber ich habe die Freiheit im Internet.

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