Dienstag, 23. April 2024
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[Videos] Nach Selbstmord von 18-Jährigem: Mitstudent verurteilt

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Im September 2010 stürzte sich der Tyler Clementi, ein 18-Jähriger Musikstudent der Rutgers University in New Jersey, von einer Brücke, weil zwei Mitstudenten über eine Webcam ein Date ins Internet übertragen haben. Nun wurde einer der beiden Studenten deshalb zu dreißig Tagen Haft verurteilt.

Richter Glenn Berman befand Dharun Ravi, den Zimmergenossen von Clementi, bereits in März in allen 15 Anklagepunkten für schuldig, unter anderem wegen Begehens einer vorurteilsgeleitenden Straftat, Einschüchterung, Eingriff in die Privatsphäre und Unterschlagung von Beweisen. Nun wurden Strafmaß und Urteilsbegründung bekanntgegeben.

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Bei der Urteilsverkündung sagte Berman, er glaube nicht, dass Ravi Tyler Clementi gehasst hat: „Dafür hatte er keinen Grund, aber ich glaube, dass er aus einer riesigen Unsensibilität gehandelt hat“. Der Richter erklärte, dass eine vorurteilsgeleitete Straftat etwas anderes sei als ein Hassverbrechen. Das Urteil sei „maßvoll“ und „ausgewogen“, da keine Wiederholungsgefahr von Ravi ausginge. Die Höchststrafe liegt bei zehn Jahren. Ravi war zuvor im Gericht zusammengebrochen, folgte der Urteilsverkündung dann aber ohne große Emotionen.

„Ich habe die Jury 288 Mal ’schuldig‘ sagen hören. 24 Fragen, 12 Geschworene. Ich habe aber nie gehört, dass sie sich entschuldigt hätten“ so der Richter weiter. Ravi lehnte es ab, sich schuldig zu bekennen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm drei Mal einen Deal angeboten, mit dem er eine Gefängnisstrafe hätte vermeiden können.

Richter Berman empfahl außerdem, den gebürtigen Inder, der in den USA aufgewachsen ist, nicht in seine Heimat abzuschieben. Damit folgte er der Bitte jenes Mannes, mit dem Tyler Clementi gemeinsam gefilmt wurde. Die endgültige Entscheidung darüber trifft aber die US-Einwanderungsbehörde.

Weiters wurde Ravi zu 1900 Dollar Bußgeld, drei Jahren Bewährung und 300 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Er muss weiters 10.000 Dollar an eine gemeinnützige Organisation zahlen, die Menschen hilft, die wegen Vorurteilen Opfer von Verbrechen wurden. Außerdem muss er an einem Programm teilnehmen, das sich mit Cyber-Bullying und „alternativen Lebensmodellen“ beschäftigt.

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Tyler Clementi hatte seinen Mitbewohner, den er erst drei Wochen kannte, im September 2010 gebeten, nicht in das Zimmer zu kommen, damit er mit einem Freund allein sein könne. Allerdings Ravi schaltete aber per Fernbedienung eine Webcam ein und nahm die beiden auf. Gemeinsam mit einer Freundin verteilte er den Link zu einer kurzen Videosequenz mit den beiden über Twitter und SMS. Zwei Nächte danach bat Clementi erneut Ravi darum, allein sein zu dürfen. Dieser lud seine Freunde daraufhin über Twitter zur „Live-Übertragung“ ein.

Kurz darauf hinterließ Clementi auf Facebook eine Abschiedsbotschaft und sprang von der George-Washington-Brücke vor Manhattan in den Hudson River. Noch kurz vor seinem Selbstmord soll er mehrfach die Tweets von Dharun Ravi gecheckt haben.

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Vor der Urteilsverkündung haben die Familien von Tyler Clementi und Dharun Ravi sowie deren Anwälte Stellungnahmen abgegeben. Der Vater von Tyler Clementi sagte, die Wirkung von Ravis Tat war „heftig, schockierend und bleibend“. Seine Mutter sagte unter Tränen, dass sie keine Idee von der „Verzweiflung und Qual, die Tyler gefühlt haben muss“ hatte, auch wenn sie ihrem Sohn sehr nahe war.

Ravis Anwalt Steven Altman sagte, sein Klient sei „von der lesbischwulen Community dämonisiert worden“ und der Fall behandelt wurde „als wäre es ein Mordfall“. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung haben angekündigt, gegen das Urteil berufen zu wollen.

Ravis Freundin Molly W. nimmt heute an einem Interventionsprojekt teil, das ihr das Gefängnis ersparen soll.

Der Selbstmord von Tyler Clementi war einer von einer Reihe junger Burschen, die den Freitod wählten, weil sie von ihrer Umgebung schikaniert wurden. Als Reaktion auf diese Serie haben engagierte Lesben- und Schwulenaktivisten die Aktion „It gets better“ ins Leben gerufen, bei der auch Prominente erzählen, wie sie Hänseleien und Angriffe in ihrer Schulzeit überstanden haben.

Im Bundesstaat New Jersey wurde letztes Jahr ein Anti-Mobbing-Gesetz verabschiedet. Danach können Opfer von Diffamierungen per Handy oder im Internet ihre Peiniger direkt in der Schule oder bei der Polizei anzeigen. Schulen müssen jeden Fall binnen zehn Tagen prüfen. Außerdem muss das gesamte Personal – vom Direktor bis zum Hausmeister – Anti-Mobbing-Strategien lernen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Gefängnisstrafe von 30 Tagen sei auf Bewährung ausgesetzt worden. Das ist falsch. Der Angeklagte wurde zu 30 Tagen Haft sowie drei Jahren auf Bewährung verurteilt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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