Freitag, 19. April 2024
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Deutschland entschädigt verurteilte Schwule

Pauschalbetrag plus Zahlung pro Jahr im Gefängnis

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Schwule Männer, die in Deutschland aufgrund des Paragrafen 175 StGB verurteilt wurden, sollen rehabilitiert und mit mehreren tausend Euro entschädigt werden. Das sieht ein Gesetzesentwurf des Justizministeriums vor. Grüne und LSVD kritisieren, dass der Betrag nur für die Zeit im Gefängnis entschädigen soll, nicht aber für die Folgen der zerstörten Existenz.

Bis zu fünf Jahre Haft für „unzüchtige Handlungen“ – und das musste nicht einmal Sex sein

Erst im Jahr 1994 wurde in der Bundesrepublik Deutschland Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs endgültig abgeschafft. Er hatte seit 1. Jänner 1872 einvernehmlichen Sex zwischen zwei volljährigen Männern unter Strafe gestellt. Im Jahr 1935 wurde er von den Nationalsozialisten verschärft: Die Höchststrafe wurde von sechs Monaten auf fünf Jahre angehoben, und statt Sex reichten nun „unzüchtige Handlungen“ für eine Verurteilung. Während des Nationalsozialismus bedeutete eine Verurteilung oft die Einlieferung in ein Konzentrationslager, doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg beendete eine Verurteilung nach diesem Paragrafen unzählige Existenzen.

Doch von einer Rehabilitierung dieser Nazi-Opfer nach dem Krieg war keine Rede. Im Gegenteil: In der Bundesrepublik war der Paragraf bis 1969 in der verschärften Fassung der Nationalsozialisten in Kraft. Fast 55.000 Mal wurden Männer in der Bundesrepublik wegen ihrer sexuellen Orientierung zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Den etwa 5.000, die bis heute überlebt haben, will der deutsche Justizminister Heiko Maas von der SPD Gerechtigkeit zukommen lassen.

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Urteile sollen aufgehoben werden, eine Entschädigung bezahlt

So sollen die strafrechtlichen Urteile aufgehoben werden, die in BRD und DDR nach dem Krieg ergangen waren. Damit will die Große Koalition die Verurteilten rehabilitieren, ihnen den „Strafmakel“ nehmen, wie es in dem Entwurf heißt. Das strafrechtliche Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen sei „nach heutigem Verständnis in besonderem Maße grundrechtswidrig“, so das Justizministerium.

Außerdem soll es für die Betroffenen eine finanzielle Entschädigung geben. Bestehen soll sie aus pauschal 3000 Euro sowie 1500 Euro je angefangenem Jahr eines Freiheitsentzugs. Das Ministerium rechnet damit, dass in Summe etwa 30 Millionen Euro an die Opfer des Paragraf 175 ausbezahlt werden. Beansprucht können die Entschädigungen innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes werden.

Für den Verlust der bürgerlichen Existenz gibt es kein Geld

Für den offen schwulen Bundestagsabgeordneten Volker Beck von den Grünen ist die nun vorgeschlagene Regelung „unzureichend“: Denn die Entschädigung beziehe sich nur auf die Haft – nicht auf die Folgen einer Verurteilung nach Paragraf 175. „Schon die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens konnte die Vernichtung der bürgerlichen Existenz und den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben. Deshalb müssen auch Berufs- und Rentenschäden Berücksichtigung finden“, so Beck in einer ersten Stellungnahme.

Auch der deutsche Lesben- und Schwulenverband (LSVD) begrüßte das Vorliegen eines konkreten Gesetzesentwurfs. Die Entschädigung müsse „einen gerechten Ausgleich dafür bieten, dass die Betroffenen durch die staatliche Verfolgung oft in ihrer bürgerlichen und beruflichen Existenz für ihr ganzes Leben geschädigt wurden“, so auch die größte deutsche LGBT-Organisation.

Zusätzlich eine Sonderzahlung für die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Die Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL) haben bei ihrer Bundesmitgliederversammlung gefordert, die Entschädigung nicht nur als Einmalzahlung, sondern auch als Rente auszahlen lassen zu können. Dies sei wichtig, weil eine Rente nicht auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden würde, eine Einmalzahlung aber schon. Für manche Opfer sei das entscheidend, wenn beispielsweise ein Mann inzwischen hochbetagt im Pflegeheim lebt.

Zusätzlich zu den individuellen Entschädigungen an die Opfer des Paragraphen 175 soll es auch eine Kollektiventschädigung in der Höhe von 500.000 Euro an die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld geben. Dieser Betrag entspricht gleichsam einer Entschädigung an die bereits verstorbenen Opfer des Gesetzes. DGB und LiSL haben diese Regelung bereits begrüßt.

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