„Einmal im Rampenlicht stehen, und zwar so wie man ist“

Die Wiener Drag-Queen und Burlesque-Künstlerin Tamara Mascara über ihre Nacht am Grazer Tuntenball

Tamara Mascara backstage
Alexandra Thompson

Es war an einem Mittwoch an der prachtvollen Wiener Ringstraße: Ich fahre im Taxi an der Staatsoper vorbei, davor sind ein roter Teppich, Beschilderung und Absperrung aufgebaut. Es ist der Abend vor dem großen Abend, der Abend vor dem Opernball.

Ich war wehmütig: Dieses Jahr fehlte uns, der Szene, ein wichtiger Ball, nämlich das Gegenstück zum Opernball: Der Rosenball. Abgesagt wegen Erkrankung der Ballmutter, Miss Candy. (Gute Besserung Mutti!)

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Wie schön ist es, wenn wir uns alle, mehr oder weniger gleichzeitig, das Make-up ins Gesicht spachteln, die Korsetts zusammenschnüren, in die Anzugschuhe pressen oder die Fliegen binden. Ein unglaubliches Miteinander, über die ganze Stadt verteilt, kurz bevor man ins Taxi steigt und sich dann gegenseitig den ganzen Abend lang ins Ohr schreit wie schön man ist. Das ist Ballkultur!

Das Zentrum des LGBT-Ballkalenders war dieses Jahr in Graz

Dieses Jahr gab es also keinen Rosenball, dafür konzentrierte ich mich umso mehr auf einen anderen Ball der LGBT-Community, den Grazer Tuntenball. Dieser ist seit 28 Jahren fixer Bestandteil des LGBT-Ballkalenders in Österreich. Etwa 2500 mehr oder weniger kostümierte Personen finden sich dazu im Grazer Congress ein, um gemeinsam zu feiern.

Tamara Mascara backstage
Alexandra Thompson

Meine Arbeitswoche vor dem Ball war mit der Kreation eines fabelhaften Outfits ausgefüllt. 40 Meter Taftrüschen in bordeauxrot, und für obenrum die Abwandlung einer Lederjacke, aus auberginefarbenem Leder. Schweißausbrüche an der Nähmaschine inklusive. Ich mache meine Nägel übrigens immer erst am Abend vor dem Ball, sonst sehen meine Hände nach der ganzen Arbeit aus wie die Gartenkrallen aus der Fernsehwerbung.

Wie schon erwähnt: Bei meiner Ringfahrt empfand ich ein seltsam emotionales Gefühl bei der Vorstellung von hunderten Menschen, die sich zurechtmachen um gemeinsam einen Ball zu geniessen, und meine Vorahnung machte in Graz angekommen plötzlich richtig viel Sinn.

In jedem Hotelzimmer machte sich mindestens eine Ballkönigin zurecht

Das gesamte roomz Hotel war ausgebucht und voll mit Tuntenball-Gästen und mitwirkenden Künstlern, und in jedem Zimmer machte sich mindestens eine Ballkönigin zurecht. Wimpernkleber wurde von Tür zu Tür gereicht, und zeitweise befürchtete ich, im Dunst von Haarlack und Dior Poison mein Leben auszuhauchen.

Unglaublich aber pünktlich verließen Miss Bubblegum Lecter und ich selbst mein Zimmer, um uns nur wenige Minuten darauf in einer knallpinken Stretchlimo mit Lucy McEvil, Alfons Haider und weiteren Illustren Fahrgästen wiederzufinden. Das schönste Gefühl der Welt, in Korsett und Heels in einem tiefliegenden Auto zu fahren, wohlwissend, dass man nicht anders als ein Rollmops aussteigen können wird. Und wahrscheinlich gehört dröhnende Tagada-Musik zu einer Fahrt in einer pinken Limo einfach dazu.

Ballkultur: Walzer, Polka, Discofox – und Schaumwein

Sozusagen als Startschuss für die festliche Eröffnung zog ich dann mit weiteren Patronessen des Balles in den Stefaniensaal ein, direkt zu einem Tisch im Bereich für sehr wichtige Personen. Meine erste Amtshandlung war die Köpfung einer Flasche Rosé, denn wie der Walzer, die Polka und der Discofox gehört auch der Schaumwein zur Ballkultur wie das Glitzikrönchen auf die Debütantin.

Tamara Mascara und Bubblegum Lecter
Alexandra Thompson

Alexandra Desmond, seit Jahren der Star des Tuntenballs, eröffnete gemeinsam mit Bubblegum Lecter und einer beneidenswerten Schar an Tänzern und Tänzerinnen den Abend unter dem Motto: “Night of Stars”.

Einmal im Rampenlicht stehen, und zwar so wie man ist.

Achso, also hätten wir uns nicht schminken sollen? Spass beiseite, natürlich geht es nicht um Oberflächlichkeiten! Es geht darum, sich selbst nicht zu verstecken, egal wen man liebt, jeder soll strahlen wie ein Stern!

Politische Messages, Drama und Blut bei der Wahl zur Miss Tuntenball

Spätestens bei der Wahl zur Miss Tuntenball konnten die teilnehmenden Drag Queens ihre Strahlkraft unter Beweis stellen. In einem anderen Saal, wieder auf einem ähnlichen Tisch, wieder etwas erhöht, wieder mit Rosé, dafür auch mit Mineralwasser, saß ich also mit Nummerntafeln von 0 bis 5, um den Damen ihre Wertung zu geben.

Nicht leicht sowas, schließlich haben alle für ihren Auftritt gearbeitet! Jede Einzelne hat ihre Möglichkeiten genutzt und den Mut gefasst, sich als strahlender Stern auf die Bühne zu stellen. Es ist nicht leicht, hier mit einer Nummer und einem kurzen Kommentar eine Bewertung abzugeben.

Politische Messages flogen genauso wie Rosenblüten, und eine der Teilnehmerinnen flog sogar aus ihren eigenen Schuhen, stand wieder auf und machte weiter – Bravo!

Erika Empire überzeugte. Leider blutete sie nicht.

Erika Empire überzeugte letztendlich den ganzen Saal und die Jury mit einer dramatischen Performance in kristallbesetzter Vintage-Wäsche. Leider blutete sie nicht. Also, die Blutkapseln gingen nicht auf. Trotzdem gewann sie die Krone und den Titel „Miss Tuntenball 2017“.

Ich selbst hatte die Ehre, eine meiner Burlesque-Shows zum Besten zu geben, entledigte mich meines Kleides und schwang meine größten Federfächer durch die Luft.

Am Heimweg stoppte unser Taxi noch vor einem in Graz allgemein bekannten Kebabladen. In voller Montur stolzierte meine Kollegin Mata Rasiert hinein und bestellte läppische sieben Döner to go – so muss eine glamouröse Ballnacht zu Ende gehen.


Tamara Mascara ist Österreichs wohl bekannteste Burlesque Drag Queen. Mit ihren Auftritten und perfekt choreografierten Shows ist ihr Name bereits weit über die Grenzen des Landes ein Begriff. Für GGG.at Voices schreibt sie, was ihr über die Szene ein- und auffällt.