Freitag, 29. März 2024
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NSU-Prozess: Drei Jahre Haft für Carsten S.

Deutliche Strafe für den reuigen Angeklagten, der vor seiner Verhaftung als Sozialpädagoge in der LGBT-Community arbeitete

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In München ist heute beim Prozess gegen die rechtsextreme terroristische Vereinigung „Nationalsozialisitscher Untergrund“ (NSU) der offen schwule Mittäter Carsten S. zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der heute 38-Jährige den Tätern jene Waffe übergeben hat, mit der sie neun Morde begangen haben. Er wurde deshalb wegen Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen. Die Strafe wurde nach Jugendstrafrecht bemessen, weil Carsten S. zum Zeitpunkt der Tat 20 Jahre alt war.

Für Beobachter ist die Strafe für Carsten S. im Verhältnis zu hart

Sein Anwalt Jacob Hösl hatte bei seinem Plädoyer im April einen Freispruch gefordert, weil er sich von der rechten Szene losgesagt hatte. Dem entsprechend wirkte Carsten S. bei der Urteilsverkündigt traurig, er dürfte sich Hoffnungen auf eine Bewährungsstrafe gemacht haben. Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Projekte gegen Rechtsextremiumus fördert, kritisierte auf Twitter die „im Verhältnis schwere Strafe“ für den heute 38-Jährigen.

#Urteil im Fall von Beate Zschäpe ist aus unserer Sicht klar und richtig, unklar ist die im Verhältnis schwere Strafe gegen Carsten S. – die Angeklagten André E., Holger G. und Ralf Wohlleben sind nicht angemessen verurteilt worden! #KeinSchlussstrich #NSUProzess

— Amadeu Antonio St. (@AmadeuAntonio) July 11, 2018

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Carsten S. stieg im Jahr 2003 aus der rechtsextremen Szene aus und zog nach Nordrhein-Westfalen, um dort offen schwul zu leben. Vor seiner Verhaftung im Februar 2012 arbeitete er als Sozialpädagoge bei der AIDS-Hilfe in Düsseldorf und hatte noch einen Nebenjob in einem schwul-lesbischen Jugendclub.

„Mich hat das immer fasziniert, dieses Dunkle“: Steiler Aufstieg in der rechten Szene

Doch zuvor war Carsten S. in der rechten Szene im Osten Deutschlands aktiv. Der Polizei sagte er, dass er mit 13 bemerkt habe, schwul zu sein. Da er gemerkt habe, dass er „anders sei als die anderen“, wollte er sich besonders stark anpassen – und ging zu den Neonazis. „Mich hat das immer fasziniert, dieses Dunkle“, sagte er vor Gericht und meinte damit das Dritte Reich und SS-Uniformen.

Zunächst gehörte Carsten S. dem rechtsextremen „Thüringer Heimatschutz“ (THS) an, außedem engagierte er sich auf Landes- und Bezirksebene für die mittlerweile verbotene NPD und deren Nachwuchsorganisation JN. In Jena lernte er schließlich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kennen, die drei Mitglieder des NSU. Später soll er für die Untergetauchten Geld gesammelt haben und ihre Kontaktperson gewesen sein.

Für 2500 D-Mark soll Carsten S. jene Waffe bekommen haben, mit der das NSU-Trio neun Gewerbetreibende mit türkischen und griechischen Wurzeln tötete – eine Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 Millimeter. Die Waffenübergabe hat er auch gestanden. Er wurde heute schuldig gesprochen, weil er mit dem Beschaffen der Waffe der Beihilfe zum Mord geleistet hat.

Carsten S. ist der einzige Angeklagte, der vor Gericht glaubhaft Reue für seine Taten gezeigt hat

Als der NSU im Jahr 2011 aufgeflogen sei, habe er eine Schreckschusspistole, die er sich damals besorgt hatte und die seinem Keller herumlag, in den Rhein geworfen – „damit es nicht heißt: Der Sozialpädagoge wurde gefasst und bei dem wurden Waffen gefunden“.

Mehrere Angehörige von NSU-Opfern erkannten die Reue von Carsten S. an, sie haben ihm nach eigenem Bekunden verziehen. Da er gegen seine ehemaligen Mitstreiter ausgesagt hat, gilt er heute selbst als gefährdet und befindet sich in einem Zeugenschutzprogramm. Da er bis jetzt auf freiem Fuß war, muss er in Haft, sobald das Urteil Rechtskraft erlangt.

Auch ein Opfer-Anwalt hätte für Carsten S. lieber eine Bewährungsstrafe gesehen

Auch Mehmet Daimagüler, der als Anwalt der Nebenklage die Geschwister von Abdurrahim Özüdoğru und die Tochter von İsmail Yaşar vertritt, kritisierte das Urteil für Carsten S. als „zu hart“. „Ich bin explizit enttäuscht, dass der nochmal einfahren muss“, sagt Daimagüler: „Für ihn hatten wir eine Bewährungsstrafe beantragt, alleine schon, weil es bei ihm nichts zu resozialisieren gibt. Er hat zur Aufklärung beigetragen, hat vor langer Zeit mit der Nazi-Szene gebrochen und hat glaubwürdig um Vergebung gebeten“, schreibt der Anwalt auf Facebook.

Carsten S. habe nichts von den geplanten Morden und Anschlägen des NSU gewusst, betonte sein Anwalt vor dem Münchner Oberlandesgericht. Er habe „so etwas nicht für möglich gehalten“, betonte Jacob Hösl. Da er nicht bedingt vorsätzlich gehandelt habe, könne ihm daraus heute kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden, so der Anwalt weiter: Der heute 38-Jährige sei damals nur der „willfährige Adlatus“ von Wohlleben gewesen. Eine Einschätzung, der das Gericht heute nicht folgte.

Lebenslange Haft für Beate Zschäpe – Anwälte kündigen Revision an

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Zusätzlich wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt, was eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren erschwert.

Ihre Anwälte haben bereits angekündigt, gegen das Urteil Revision einzulegen. Die Verurteilung Zschäpes wegen Mittäterschaft an den von Böhnhardt und Mundlos begangenen Morden und Raubstraftaten sei nicht tragfähig begründbar, so Verteidiger Wolfgang Heer.

Der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte André E. wird zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Ralf Wohlleben, der die Waffen für den NSU besorgt hat, muss zehn Jahre in Haft. Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erhält Holger G. eine Strafe von drei Jahren Haft. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, es gilt die Unschuldsvermutung.

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