Deutliche Worte zur Ehe-Öffnung findet Brigitte Bierlein, Vorsitzende des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), in einem Interview mit der HOSI Wien. „Möglicherweise war der Gesetzgeber erleichtert, dass wir ihm diese Entscheidung über die Öffnung der Ehe abgenommen haben“, sagt sie gegenüber Lambda, dem Magazin der Wiener Homosexuelleninitiative.
Auf diese Entscheidung des VfGH folgte viel positives Feedback, erinnert sich Bierlein: „Nach unserer Entscheidung zur Ehe für alle sind einige junge Männer auf mich zugekommen und haben mich darauf angesprochen. Einer von ihnen hat erzählt, er befürchte aufgrund seiner Orientierung Probleme am Arbeitsplatz. Er müsse sich gegenüber dem Dienstgeber deklarieren, wenn er sich verpartnern wolle. Ein sehr vernünftiger, junger Mann. Ich frage ihn: ‚Was ist, wenn Sie sich mit Ihrem Partner öffentlich als Paar zeigen und die Orientierung ist für jede und jeden erkennbar?‘ Er antwortete, er habe einen offensichtlich sehr konservativen Arbeitgeber. Dort müsse er im Fall einer Verpartnerung die Urkunde vorlegen und das wäre ihm, wie er sagte, sehr unangenehm. Im Fall einer Ehe dagegen wüsste niemand Bescheid. Ich habe mir nach dem Gespräch gedacht, vielleicht hat diese Art zu lieben doch mehrere Gesichter. Aber für mich ist ganz klar: Es sollte jeder und jedem überlassen sein, zu entscheiden, wie sie/er ihr/sein Leben gestaltet“
Der größere Schritt für Gleichberechtigung sei die Öffnung der Adoption gewesen, glaubt Bierlein
Der noch größere Schritt sei vom VfGH jedoch „schon früher, nämlich mit der Entscheidung zur Fremdkindadoption“ gesetzt worden, so Bierlein weiter: „Da ging es schon um echtes Familienleben für Regenbogenfamilien“, erklärt die Höchstrichterin, die auch diesen Spruch mitentschieden hat.
Bierlein, die als erste Frau dem VfGH vorsteht, findet es im Gespräch mit der HOSI Wien „schwer nachvollziehbar“, dass „international eigenartigerweise eine Art ‚Backlash‘ spürbar wird, wo oft ein konservativer politischer Wille durchschlägt, die Frauen wieder verstärkt ‚an den Herd‘ zu binden.“
Zum ersten Mal spricht eine Höchstrichterin mit einem Community-Medium
Für Lambda-Chefredakteur Fabian Wingert ist das Interview ein „Meilenstein in der LGBTIQ-Geschichte in Österreich“ – denn: „Einst mussten Lesben, Schwule, Bisexuelle vor Gerichten Angst haben“ – was sich nicht nur durch die Entscheidungen des VfGH geändert habe.
Die aktuelle Lambda-Ausgabe liegt im Café Gugg und anderen Orten der LGBTIQ-Community auf und ist auch online auf der Homepage der HOSI Wien zu finden.