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Jubel mit Alex Jürgen

Geburtsurkunde auf „divers“ und Reisepass auf „X“ - ist nun das Ziel für intergeschlechtliche Menschen erreicht?

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Am Dienstag, den 14.5.2019 war es soweit, Alex Jürgen postete ein Foto von sich und Anwalt Helmut Graupner mitsamt den neu ausgestellten Dokumenten mit einer langen Dankesliste. Aber auch mit klaren und kämpferischen Worten: „Dies ist ein großer Erfolg, aber solange Kinder durch Operationen/Hormonbehandlungen ’normalisiert‘ werden, solange ist der Kampf nicht gewonnen“. 

Ich freue mich sehr darüber, dass Alex nach Jahren des Kampfes, nach 3-jährigen Gerichtsverfahren diesen großen Schritt erreicht hat, für sich, für die Inter*Community. Als Inter* Person danke ich Alex aus tiefstem Herzen. Alex hat, wie keine andere Person, die Inter*-Community in Österreich sichtbar gemacht und uns auf so vielen Ebenen den Weg geebnet.

Noch immer werden intergeschlechtliche Menschen medizinisch diskriminiert

Doch neben all der Freude stehen noch immer und aufs Neue die massive medizinische Diskriminierung von intergeschlechtlichen Menschen. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), welche besagt, dass Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung das Recht auf einen selbstbestimmten, individuellen Geschlechtseintrag haben, wurde vom Innenministerium eiskalt ignoriert und „selbstbestimmt“ durch die Fremdbestimmung eines medizinischen Boards ersetzt. Dieses Board, welches zum großen Teil aus Mediziner*innen besteht, soll nun darüber entscheiden, ob eine Person Inter* ist oder nicht.

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Jetzt stellt euch mal vor, die Medizin hat dir als Kind deinen Penis abgeschnitten, dann haben diese Menschen entschieden, auch in deinen Hormonhaushalt einzugreifen – weil wenn der Penis ab ist, darf der Köper nicht Testosteron produzieren, also her mit den weiblichen Hormonen, damit diese Person ja weiblich bleibt. Und genau zu dieser Gruppe von Menschen sollst du jetzt hingehen und die sollen darüber entscheiden ob du inter* bist oder nicht. Was ist das für ein perfider Gedanke? Wieviel Gewalt kann man Menschen noch antun, nur, weil man Angst hat das Zweigeschlechtersystem zu verlieren? Was ist so schrecklich daran anzuerkennen, dass es intergeschlechtliche Menschen gibt – zu jeder Zeit, in jeder Gesellschaft. 

Bis in die Neuzeit konnten „Hermaphroditen“ selbst über ihr Geschlecht entscheiden

Vom Mittelalter bis in die Neuzeit waren „Hermaphroditen“ in Europa sogar juristisch anerkannt und hatten die Möglichkeit per „Geschlechtseid“ selbst darüber zu entscheiden, in welchem Geschlecht (d.h. Mann oder Frau) sie als Erwachsene leben wollten. Erst im Bürgerlichen Gesetzbuch gab es nur noch Männer und Frauen – und in „strittigen Fällen“ entschieden laut Gesetz nicht mehr die Betroffenen, sondern Wissenschaft und Medizin.

Seit dem 19. Jahrhundert wurden „Hermaphroditen“ zunehmend für Forschungszwecke missbraucht. Ungefragt wurden ihre Körper experimentellen kosmetischen Genitaloperationen, Kastrationen, Transplantationsversuchen und weiteren medizinisch nicht notwendigen Menschenexperimenten unterworfen. 

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „erforschten“ in Europa und Nordamerika zahlreiche Chirurgen, Endokrinologen, Genetiker, Biologen, Psychiater und Sexologen die Grundlagen zur serienmäßigen chirurgischen „Korrektur“ und der willkürlichen Steuerung der Pubertät durch synthetische Hormone, oft in Verbindung mit vorheriger Kastration. (Der historische Abriss wurde von der Organisation Zwischengeschlecht Schweiz übernommen.) 

Also, nochmal: Diese Gruppe soll nun weiterhin über mich entscheiden? 

Luan Pertl ist Inter*Aktivist*in bei VIMÖ, Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich und Obmensch der Plattform Intersex Österreich. Für den Austausch und die Zusammenarbeit zu diesem Text bedankt er sich bei Paul Haller, Geschäftsführer der HOSI Salzburg und Mitglied der Plattform Intersex Österreich.

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