Freitag, 29. März 2024
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Zwei Gerichte urteilen: „LGBT-freie Zonen“ in Polen könnten verfassungswidrig sein

Zwei Gerichte kommen in ihren - nicht rechtskräftigen - Urteilen zu einem ähnlichen Schluss

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Für heftige Kritik aus der Europäischen Union sorgen die “LGBT-freien Zonen” in Polen. Vier Woiwodschaften, 18 Bezirke und 16 Gemeinden haben sich mittlerweile selbst als frei von jeder “LGBT-Ideologie” deklariert – insgesamt gut ein Drittel des polnischen Staatsgebiets, vor allem im Süden und Osten des Landes. Doch nun sind gleich zwei Gerichte zu dem Schluss gekommen, dass diese “LGBT-freien Zonen” mit der Verfassung nicht vereinbar seien. 

Mit der Ausrufung einer „LGBT-freien Zone“ überschritt der Gemeinderat seine Kompetenzen

So sah sich das Verwaltungsgericht von Gliwice die Ausrufung der “LGBT-freien Zone” in der 5.000 Einwohner zählenden Gemeinde Istebna in Westpolen genauer an. Am Dienstag hat das Gericht geurteilt, dass der Gemeinderat mit dem Ausrufen seine Kompetenzen überschritten hätte. Außerdem hätte er damit gegen Artikel 32 der polnischen Verfassung verstoßen, dem zufolge alle Menschen in Polen “das Recht haben, vor öffentlichen Autoritäten gleich behandelt zu werden.” 

Die “LGBT-freien Zone” in Istebna würde gegen den Verfassungsgrundsatz verstoßen, dass „niemand im politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Leben aus irgendeinem Grund diskriminiert werden darf”, so das Gericht. Es hob den Beschluss, Istebna zur “LGBT-freien Zone” zu machen, wieder auf. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. 

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“Zu sagen, dass es um eine Ideologie geht und nicht um Menschen, bedeutet, die Wirklichkeit zu ignorieren”

“Ideologie ist immer mit Menschen verbunden. Der Definition im Wörterbuch zufolge handelt es sich um ein System von Ideen, zu denen sich Einzelpersonen oder Menschengruppen bekennen”, so Krzysztof Wujek, einer der Richter in seiner Begründung. Einen Ort als Zone, die frei von LGBT-Ideologie sei, zu definieren, “bezieht sich de facto auf die Menschen aus dieser LGBT-Gruppe“, so der Richter weiter: “Zu sagen, dass es sich um eine Ideologie handelt und nicht um Menschen, bedeutet, die Wirklichkeit zu ignorieren.” 

Ähnlich urteilte das Bezirksverwaltungsgericht in Radom am Mittwoch: Es hob einen Beschluss des Gemeinderats von Klwów mit einer ähnlichen Begründung auf. Der Gemeinderatsbeschluss, in dem unter anderem auch eine Richtlinie für die “LGBT-ideologie freie” Bestellung von Schulleitern zu finden war, sei rechts- und verfassungswidrig. Der Gemeinderat der 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde hätte damit seine Kompetenzen ebenfalls klar überschritten, so das – ebenfalls nicht rechtskräftige – Urteil.  

In der nationalkonservativen Propaganda gegen sexuelle Minderheiten spielen die „LGBT-freien Zonen“ eine wichtige Rolle

Die beiden Urteile sind ein Rückschlag für die nationalkonservative Propaganda gegen sexuelle Minderheiten: Denn Vertreter der römisch-katholischen Kirche, der Regierungspartei PiS und auch Präsident Andrzej Duda selbst würden seit einiger Zeit eine Strategie der „Entmenschlichung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans-Menschen“ betreiben, so Magdalena Swider von der „Kampagne gegen Homophobie“. So habe Duda im Wahlkampf erklärt, LGBT seien keine Menschen, sondern eine „Ideologie“, die zerstörerischer sei als der Kommunismus. 

Es ist das erste Mal, dass polnische Gerichte so deutlich gegen die umstrittenen “LGBT-freien Zonen” urteilen. Zuvor haben die Verwaltungsgerichte der Woiwodschaften von Krakau, Kielce und Posen Beschwerden über die Resolutionen zu “LGBT-freien Zonen” abgelehnt. Sie waren der Meinung, dass diese nicht Teil der öffentlichen Verwaltung oder die Erklärungen nur unverbindlich seien und keine Verpflichtungen für die Gebietskörperschaften mit sich ziehten. 

Keine sexuellen Minderheiten im Unterricht, kein Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare

Es wird erwartet, dass diese Entscheidungen auch Auswirkungen auf die anderen Gebiete im Land haben werden – und das könnte den Betroffenen wieder Hoffnung machen. Denn die Lage für sexuelle Minderheiten in Polen hat sich in den letzten Monaten und Jahren erheblich verschlechtert. Präsident Duda erklärte in den letzten Wochen, er wolle ein „Verbot der Propagierung von LGBT-Ideologie in öffentlichen Institutionen“ wie Schulen sowie ein verfassungsmäßiges Verbot von Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare.  

Damit kann er vor allem bei konservativen Wählern außerhalb der großen Städte zu punkten: Einer aktuellen Umfrage zufolge fühlen sich 82 Prozent der PiS-Wähler von der “LGBT-Ideologie” bedroht – bei Anhängern aller anderen Parteien lag dieser Wert deutlich unter 50 Prozent. 

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