Freitag, 29. März 2024
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Tschetschenien: Queeren Teenagern drohen 15 Jahre Haft

Weil sie die Regierung kritisierten, sollen sie nun wegen Unterstützung eines Terroristen verurteilt werden

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Zwei junge Burschen aus Tschetschenien, die aus der Region geflüchtet und Anfang Februar in ihrer Wohnung festgenommen und zurück nach Tschetschenien verschleppt worden waren, befinden sich nun offiziell in der Hauptstadt Grosny in Untersuchungshaft. Das gab das russische LGBT Network, dass sich um die Jugendlichen kümmerte, am Mittwoch bekannt.

Weil sie Kadyrow kritisiert hatten, wurden die Teenager gefoltert und zu einem Geständnis gezwungen

Der 17-jährige Ismail Isaew und Salekh Magamadow, der 19 oder 20 Jahre alt ist, wurden bereits im April 2020 für mehrere Wochen festgehalten und gefoltert, weil sie einen regimekritischen Telegram-Kanal moderiert hatten und dort auch queer-freundliche und atheistische Inhalte teilten. Ob die beiden Burschen selbst queer sind, darüber gibt es verschiedene Berichte. Das LGBT Network spricht von zwei Brüdern.

Unter Folter wurden sie, „sichtbar geschlagen und unwohl“, zu einem „Video-Geständnis“ gezwungen, in denen sie als „keine Männer“ bezeichnet wurden und die Zuseher:innen aufriefen, sich nicht negativ über die Regierung des autoritär herrschenden Präsidenten Ramsan Kadyrow zu äußern. Das Absprechen angeblicher Männlichkeit ist in Tschetschenien eine Formulierung für Homosexualität – und wird in der russischen Teilrepublik auch gerne genutzt, um Gegner zu diskreditieren. Dataufhin flüchteten sie aus Tschetschenien.

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Auch außerhalb Tschetscheniens waren die beiden Burschen nicht sicher

Am 5. Februar wurden sie vollkommen überraschend in ihrer Wohnung, einer Notunterkunft des LGBT Network in Nischgi Novgorod, festgenommen. In einem chaotischen Verfahren wurden sie als angebliche Zeugen einer Straftat in Tschetschenien wieder dorthin überstellt. Zwei Tage später, am 7. Februar wurde ihnen dort nach einem Verhör, bei dem keine Anwält:innen anwesend waren, die Unterstützung einer illegalen bewaffneten Gruppierung vorgeworfen.

Isaew und Magamadow sollen einem mutmaßlichen Terroristen Essen überlassen haben, so der Vorwurf der tschetschenischen Behörden. Bei einer Verurteilung drohen den beiden Burschen bis zu 15 Jahre Haft. Einem Vertreter des LGBT Networks sagten die beiden, sie seien unter Druck zu Geständnissen gezwungen worden.

Der absurde Vorwurf: Sie sollen einen Islamisten unterstützt haben

Einen Tag später ordnete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einer Eilentscheidung an, dass Anwält:innen, Ärzt:innen und Familienangehörige Zugang zu den Jugendlichen zu gewähren sei – doch die tschetschenischen Behörden ignorierten diese Entscheidung. Offiziell verzichteten die Burschen auf anwaltliche Vertretung.

Am 9. Februar wurden über die Jugendlichen dann vollkommen überraschend und ohne Anwält:in eine zweimonatige Untersuchungshaft verhängt. Anwält:innen des LGBT Networks beriefen gegen das Urteil, ohne es gesehen zu haben. Das höchste Gericht Tschetscheniens bestätigte daraufhin die Entscheidung gegen Magamadow und hob jene gegen den minderjährigen Isaew auf, ließ die Untersuchungshaft aber in Kraft.

Auch der Vater der Burschen wurde vom Regime unter Druck gesetzt

Auch der Vater der beiden Burschen wurde nach Informationen des LGBT Network bedroht: Polizisten sollen ihn unter Druck gesetzt haben, damit er nicht mit dem Anwalt der Organisation zusammenarbeite – letztendlich gab er dem Druck der Machthaber nach und lehnte den unabhängigen Rechtsvertreter ab.

Man drohte ihm unter anderem, in einem lokalen Fernsehsender „belastende Fakten“ über ihn auszustrahlen. Polizisten hätten ihn auch in den Nierenbereich geschlagen und ihm gedroht, seine Söhne in ein Gefängnis zu bringen, aus dem sie nicht mehr lebend herauskommen würden.

Wie die unabhängige russische Zeitung Nowaja Gaseta berichtet, war Ismail in seiner tschetschenischen Heimat bereits im August 2019 im Alter von 16 Jahren widerrechtlich festgenommen worden, weil er mutmaßlich schwul sei. Er musste sieben Tage im Keller einer Polizeiwache verbringen, bis ihn seine Mutter freigekauft hatte. Daraufhin zog er nach St. Petersburg, wo er letztes Frühjahr wegen seiner Telegram-Aktivitäten festgenommen und nach Tschetschenien überstellt wurde.

Für die beiden Jugendlichen gibt es Petitionen von QueeramnestyAll Out und bei Open Petition. Das Aktionsbündnis gegen Homophobie führt außerdem ein deutsches Spendenkonto für das LGBT Network.

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