Freitag, 19. April 2024
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Zadić entschuldigt sich für die LGBTI-Verfolgung in der 2. Republik

Historische Rede im Großen Schwurgerichtsaal des Wiener Landesgerichts

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In einer historischen Rede hat sich Justizministerin Alma Zadić von den Grünen heute im Großen Schwurgerichtsaal des Wiener Landesgerichts für die strafgerichtliche Verfolgung von Homo- und Bisexuellen in der 2. Republik entschuldigt. Für Vertreter der LGBTI-Community ein wichtiger Schritt – dem aber weitere folgen müssen.

Entschuldigung bei allen Homosexuellen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden

„Ich möchte den heutigen Anlass im Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts Wien – ein Ort der wie kaum ein anderer für das Recht und die Justiz steht – nutzen, um mich als Justizministerin stellvertretend und in aller Form bei jenen homosexuellen Menschen und ihren Angehörigen zu entschuldigen, die in der zweiten Republik strafgerichtlich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden“, so Zadić in ihrer Rede.

„Ich möchte mein tief empfundenes Bedauern für das Leid und das Unrecht, dass ihnen widerfahren ist ausdrücken. Diese Menschen wurden von den Institutionen, die sie eigentlich hätten schützen sollen, in ihrer Würde, in ihrem Menschsein verletzt. Für dieses geschehene Unrecht – aber auch für das lange Schweigen, das darauf folgte – möchte ich mich als Justizministerin heute in aller Form bei den Betroffenen entschuldigen“, so die Justizministerin weiter.

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Zadić kündigte 50 Jahre nach dem Ende des Totalverbots eine „Gedenkmöglichkeit“ an

Zadić kündigte an, sie plane „unter Einbindung der Vertreter*innen der der LGBTIQ*-Community eine würdige Gedenkmöglichkeit für die in der zweiten Republik zu Unrecht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten schaffen“. So wolle die Justiz die Betroffenen und das Leid, das sie erfahren haben, sichtbar machen.

Bis zur Strafrechtsreform unter SPÖ-Justizminister Christian Broda im Jahr 1971 galt in Österreich ein Totalverbot für gleichgeschlechtliche Handlungen unter Männern. Insgesamt wurden in der 2. Republik rund 25.000 Personen – vor allem schwule und bisexuelle Männer – wegen „gleichgeschlechtlicher Unzucht“ verurteilt.

Mehr als 25.000 Personen wurden wegen ihrer Homosexualität strafrechtlich verurteilt

Die gleichzeitig mit der Aufhebung des Totalverbots eingeführten neuen Strafrechtsbestimmungen wurden erst in den Jahrzehnten danach abgeschafft: das Verbot der männlichen Prostitution im Jahr 1989, ein Vereins- und ein Werbeverbot im Jahr 1997 sowie erst 2002 ein höheres Schutzalter für Sexualkontakte zwischen männlichen Sexualpartnern: Während dieses für Lesben und Heterosexuelle bei 14 Jahren lag, war Sex zwischen schwulen Männern erst mit 18 Jahren erlaubt.

„Die Schrecken der strafgerichtlichen Verfolgung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen ist eines der düstersten Kapitel der 2. Republik. Ich freue mich, dass Alma Zadić sich heute im Namen der Justiz für das begangene Unrecht an Lesben, Schwulen und Bisexuellen entschuldigt. Es ist ein tief berührender Moment und die angekündigte Gedenkmöglichkeit ist ein notwendiger Schritt zur Aufarbeitung“, sagt Ewa Ernst-Dziedzic, Sprecherin der Grünen für LGBTIQ- und Menschenrechte.

Shetty: Ein spätes, aber wichtiges Signal

„Die Entschuldigung für die Strafverfolgung von Homosexuellen ist ein spätes, aber sehr wichtiges Signal für alle Opfer, die für ihre Art zu lieben kriminalisiert worden sind“, kommentiert Yannick Shetty, LGBTIQ+-Sprecher der Neos, die Entschuldigung: „Aber auch 50 Jahre nach der gesetzlichen Abschaffung des Totalverbots homosexueller Handlungen sind wir noch lange nicht da angekommen, wo wir hinmöchten. Mit der Entschuldigung, die gut, richtig und wichtig war, ist es nicht getan, es gibt noch viel zu tun.“

Er wiederholte dabei die Forderungen seiner Partei: Die volle Rehabilitation und Entschädigung für Opfer der Anti-Homosexuellen-Paragraphen, ein Ende der Diskriminierung bei der Blutspende, ein Verbot medizinisch nicht notwendiger geschlechtsangleichender Operationen an minderjährigen intergeschlechtlichen Kindern sowie ein Verbot der mittelalterlichen Umpolungstherapien an LGBTIQ-Jugendlichen.

HOSI Wien fordert Entschuldigung und Entschädigung

Für Ann-Sophie Otte, Obfrau der HOSI Wien, ist die Entschuldigung der Justizministerin ein „enorm wichtiges Signal für all jene, die menschenrechtswidrig kriminalisiert worden sind“. Auch Otte fordert eine Prüfung aller Fälle und eine Rehabilitierung und Entschädigung jener Menschen, deren Verhalten heute nicht strafbar wäre. Unterstützt wird diese Forderung von SPÖ-Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner, der auch Vorsitzender der sozialdemokratischen LGBTI-Organisation SoHo ist.

„Darüber hinaus fordern wir auch eine Entschuldigung des Nationalrats, denn dieser war es, der dieses Unrecht erst verursacht hat. Hier ist vor allem die ÖVP in der Pflicht, die die Abschaffung dieser Strafbestimmungen besonders lange blockiert hat, weswegen sie zum Teil erst von Höchstgerichten aufgehoben werden mussten“, so Otte. Ernst-Dziedzic hat bereits angekündigt, sich im Parlament für eine Bedauernserklärung einzusetzen.

Für HOSI Salzburg ist die Entschuldigung nur der Anstoß für weitere Aufarbeitung

Josef Lindner, Obmann der HOSI Salzburg, dankt Zadić „ausdrücklich für diesen mutigen Schritt“, macht aber klar, dass dieser „nur der Anstoß für weitere konsequente Aufarbeitung“ sein könne. Obfrau Gabriele Rothuber bezeichnet die strafgerichtliche Verfolgung von Homo- und Bisexuellen bis weit in die 2. Republik als „eines der dunkelsten Kapitel unserer jüngsten Vergangenheit“.

Die Verfolgung sei menschenrechtswidrig gewesen und habe Existenzen zerstört, so Rothuber. Die HOSI Salzburg begrüße, dass unter Einbindung der LGBTI-Community-Organisationen eine Gedenkmöglichkeit geschaffen werden soll. „Das begangene Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden. Doch der heutige Tag kann Opfern der strafgerichtlichen Verfolgung helfen, mit dem geschehen Unrecht abzuschließen“, so Lindner und Rothuber.

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