Homosexualität in den Religionen

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Ob im Christentum, im Islam oder im Judentum – der Umgang der großen Weltreligionen mit Homosexualität war immer sehr ambivalent – und auch überraschend, wie unsere Zusammenfassung zeigt.

Christentum

Im Christentum gibt es keine einheitliche Haltung zu gelebter Homosexualität: Während vor allem protestantische Landeskirchen in liberalen Teilen der Welt kein Problem mit schwulen und lesbischen Gläubigen oder Priestern haben, haben die großen Kirchen meistens ein Problem mit Homosexualität.

In der Bibel als Quelle der christlichen Theologie gibt es dazu keine eindeutige Position: So heißt es zwar im Buch Leviticus 18,22 „Du sollst nicht bei einem Manne liegen wie bei einer Frau; es ist ein Greuel“ – doch in wie weit diese Regeln aus dem Alten Testament für Christen überhaupt gelten, ist oft unterschiedlich.

Im Neuen Testament erwähnt Jesus Homosexualität nicht explizit. Er betont aber die moralischen Gebote, die an erster Stelle „pornea“ – Unzucht – verurteilen. Das betraf jede Art von Sex außerhalb der Ehe. Auch der Apostel Paulus hat homosexuellen Sex scharf verurteilt.

Doch Wissenschafter weisen darauf hin, dass die Autoren der Texte sich mit solchen Sätzen – im Alten wie im Neuen Testament – von anderen Kulturen, in denen homosexuelle Praktiken üblich waren, abgrenzen wollten. Homosexualität, wie wir sie heute kennen – nämlich als angeborenes Merkmal der Persönlichkeit – war in der Zeit des Alten wie des Neuen Testaments noch unbekannt.

Heute unterscheidet die römisch-katholische Kirche zwischen homosexuellen Neigungen und homosexuellen Taten. Erstere gelten nicht automatisch als Sünde, letztere schon. Wenn Lesben und Schwule also enthaltsam leben, begehen sie keine Sünde.

Gleichgeschlechtlicher Sex verstößt allerdings nach römisch-katholischer Sichtweise prinzipiell „gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen“, wie es im Katechismus heißt. Sie sind „in keinem Fall zu billigen“, heißt es weiter – während man homosexuellen Menschen mit „Achtung, Mitleid und Takt“ begegnen sollte.

In der Praxis enden Achtung und Takt der römisch-katholischen Kirche aber oft, wenn es um die Rechte von Lesben und Schwulen geht. So hat die Kirche in Ländern wie Kroatien oder der Slowakei Volksbegehren unterstützt, die eine Definition der staatlichen Zivilehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in der Verfassung festgeschrieben haben wollen.

Bei den Protestanten ist die Sache etwas komplizierter: Sie haben kein zentrales Oberhaupt, sondern sind in viele kleine Kirchen aufgeteilt. Einige von ihnen sind Lesben und Schwulen gegenüber sehr tolerant, andere unterstützen sogar ihre Verfolgung.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zum Beispiel hat im Jahr 2013 eine Orientierungshilfe für die einzelnen Landeskirchen veröffentlicht. Dort hat sich die Kirchenleitung dafür ausgesprochen, dass der klassische Familienbegriff erweitert werden sollte: „Gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten“ seien „auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen“, heißt es in dem Text.

Bis heute haben einige evangelische Landeskirchen in Deutschland diese Empfehlung ignoriert – andere haben mittlerweile die Segnungen von heterosexuellen Ehepaaren und homosexuellen Lebenspartnern gleichgestellt. Ähnlich ist es beispielsweise auch in Skandinavien, wo die meisten staatlichen Landeskirchen schwule und lesbische Partnerschaften gleich behandeln.

In Österreich segnen die Reformierten (Helvetisches Bekenntnis) homosexuelle Ehepaare im öffentlichen Gottesdienst, die Lutheraner (Augsburger Bekenntnis) erlauben lediglich die Segnung „im seelsorgerischen Rahmen“.

In vielen evangelischen Landeskirchen sind auch schwule oder lesbische Pfarrer kein Problem – auch nicht, wenn sie mit ihrem Partnern gemeinsam im Pfarrhaus leben.

Anders sieht die Situation bei vielen evangelikalen oder charismatischen Freikirchen aus. Sie haben in vielen Punkten konservativere Einstellungen – auch bei Homosexualität. So stecken in den USA hinter den meisten „christlichen Initiativen“, die gegen die Gleichstellung sexueller Minderheiten auftreten, evangelikale Freikirchen.

Viele Freikirchen oder die evangelisch-methodistische Kirche teilen hier die Position der römisch-katholischen Kirche: Homosexuelle Handlungen sehen sie als Sünde, zölibatär lebende Lesben und Schwule werden aber akzeptiert. Allerdings gehen einige Freikirchen einen Schritt weiter als Rom: Innerhalb der Freikirchen gibt es eine „Ex-Gay“-Bewegung, die glaubt, Homosexualität könne geheilt werden.

Eine liberale Position gegenüber Lesben und Schwulen hat die Altkatholische Kirche. Sie erkennt die Tatsache an, dass es homosexuell lebende Menschen gibt. Diese sind für die Altkatholiken ebenfalls ein Teil der christlichen Gemeinde. Seit 1997 segnet die Kirche deshalb in Österreich und Deutschland auch gleichgeschlechtliche Paare, die schon längere Zeit zusammen sind. Die Entscheidung, ob ein Paar gesegnet wird, trifft der Priester nach seinem Gewissen. Eine Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe wird aber abgelehnt: Mit einer kirchlichen Eheschließung hat diese Segnung nichts zu tun.

Ähnlich wie bei den Protestanten ist sich auch die Anglikanische Kirche nicht einig, wie sie mit homosexuellen Gläubigen und Pfarrern umgehen sollen.

Auf der einen Seite gibt es die westlich orientierten Landeskirchen, zum Beispiel von England, Schottland, Südafrika, den USA oder Kanada. Diese sind gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften grundsätzlich offen. Im Jahr 2003 wurde mit Gene Robinson sogar ein offen schwuler Pfarrer zum Bischof von New Hampshire gewählt.

Das gefiel einigen anderen Landeskirchen, vor allem in Afrika, nicht. Sie protestierten gegen die Wahl von Robinson zum Bischof und drohten, aus der Vereinigung aller anglikanischen Landeskirchen auszutreten. Der Konflikt wurde durch einen Beschluss beruhigt, nach dem künftig keine offen schwulen oder lesbischen Priester mehr zu anglikanischen Bischöfen gewählt werden sollten.

In Afrika gegen anglikanische Geistliche sogar noch einen Schritt weiter: So hat beispielsweise Emmanuel Kolini, Erzbischof von Ruanda, die Regierung aufgefordert, Homosexualität generell zu verbieten.

Solche Probleme gibt es bei den Orthodoxen Kirchen nicht: Sie sind sich in diesem Punkt einig und betrachten gleichgeschlechtliche Handlungen als Sünde. Und da orthodoxe Christen immer die volle Verantwortung für die Lehren der Kirche tragen müssen, kann jemand, der eine Sünde gutheißt, nicht am Kirchenleben, beispielsweise der Kommunion, teilnehmen. Auch schließen sie Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare kategorisch aus. Allerdings ist es nach orthodoxer Sicht gegen die christliche Lehre, Lesben und Schwule zu hassen oder zu verachten.

Und obwohl es gegen die orthodoxe Lehre ist, Lesben und Schwule bürgerliche Rechte zu verwehren, kämpfen viele orthodoxe Geistliche sehr aktiv gegen politische Versuche, die Lesben und Schwule mehr Rechte zugestehen wollen.

Islam

Im Islam ist Homosexualität heute meistens ein Tabu. Doch das war nicht immer so: In der klassischen Epoche der islamischen Literatur gibt es jede Menge homoerotischer Erzählungen. Verboten wurden sie erst, als der Einfluss der prüden europäischen Moral auch in die islamischen Länder kam.

Bis 1800 „keine Spur von Homophobie“ im Islam

Nach Aussage des Islamwissenschaftlers Thomas Bauer gab es in der arabisch-islamischen Kulturgeschichte zwischen 800 und 1800 „keine Spur von Homophobie“. Sie wurde erst im 19. Jahrhundert im Zuge der Kolonialisierung, als westliche Großmächte den „Kampf gegen den unordentlichen Sex“ im Nahen Osten führen wollten, eingeführt. Vor dem Jahr 1979 ist in tausend Jahren kein Fall im islamischen Nahen Osten und Nordafrika bekannt, in dem ein Mann aufgrund von einvernehmlichem Sex mit einem anderen Mann strafrechtlich angeklagt worden ist.

Im Gegenteil: Eine Stelle des Koran, die „Unzucht“ geißelt, bezieht sich nach dem bedeutendsten Korankommentator der klassisch-islamischen Epoche ausdrücklich nicht auf homosexuelle Handlungen. Im Koran selbst wird das Paradies als jener Ort beschrieben, wo neben Jungfrauen auch Jünglinge, „gleich verborgenen Perlen“, auf die Wiederauferstandenen warten.

Der im Jahr 1201 verstorbene Rechtsgelehrte und Prediger Abū l-Faraǧ Ibn al-Ǧauzī erklärte in seiner ausführlichen Diskussion über das Anblicken bartloser Jünglinge: „Derjenige, der behauptet, dass er keine Begierde empfindet [wenn er schöne Knaben anblickt], ist ein Lügner, und wenn wir ihm glauben könnten, wäre er ein Tier, nicht ein menschliches Wesen.“

In Gedichten wird von unbehaarten Knaben geschwärmt

In der Literatur dieser Zeit wurde mit Homoerotik sehr offen umgegangen: So gibt es in Texten, die zu dieser Zeit geschrieben wurden, jede Menge eindeutiger Anspielungen. Zum Beispiel bei Abu Nuwas, zu seiner Zeit einem der berühmtesten Dichter und Religionsgelehrten der arabischen Welt. Er lebte im 9. Jahrhundert und schwärmte recht deutlich von Wein, Gesang und schönen Knabenkörpern – am besten nackt und unbehaart.

„Im Bade wird dir das sonst durch die Hosen Verborgene sichtbar. Auf zum Betrachten! Schau‘ mit nicht abgelenkten Augen!“, dichtete er – und „Sie flüstern sich gegenseitig: ‚Gott ist groß‘ und ‚Es gibt keinen Gott außer Allah‘ zu.“ Mit solchen provokanten, schnippischen und homoerotischen Texten wurde Abu Nuwas zum Star. Über Jahrhunderte waren seine Texte extrem populär.

Die Literaten der arabischen Klassik schrieben über Sex – auch solchen unter Männern – unaufgeregt und offen. Für verklemmte Europäer war das schwer zu begreifen. In den Übersetzungen wurden aus den männlichen Adressaten so mancher arabischer Liebesschwüre plötzlich Frauen, und der beginnende Bartwuchs des Objekts der Begierde wurde verschwiegen.

Erst mit dem Kolonialismus wurde der Islam prüde

Zensiert wurden solche Stellen erstmals, als der Einfluss europäischer Großmächte im arabischen Raum größer wurde. Die Werke von Safijaddin al-Hilli, eines berühmten Poeten des 13. Jahrhunderts und Verfassers diverser frivoler Gedichte, gelten als eines der ersten Beispiele erotischer Zensur.

Sie sollten Ende des 19. Jahrhunderts in Damaskus neu aufgelegt werden. Die erotischen Gedichte wanderten in den hinteren Teil des Buches, damit der Leser sie zur Not entfernen konnte. Bei einer späteren Neuauflage des Buches fehlten diese frivolen Gedichte dann vollständig – unter dem Einfluss der Kolonialmächte.

Mit der Zeit gewöhnte sich die Bevölkerung an die prüden europäischen Moralvorstellungen und die bunte erotische Poesie der eigenen Vergangenheit geriet in Vergessenheit.

Zusammen mit den patriarchalischen Strukturen, auf denen die modernen islamisch-fundamentalistischen Strömungen beruhen, wurde daraus eine Mischung, die heute für viele schwule Männer gefährlich oder tödlich ist. Das hat aber nichts mit einer islamischen Tradition zu tun – sondern mit einer modernen Fehlinterpretation.

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