Mittwoch, 1. Mai 2024
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Schweden beschließt Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen

In Schweden hat der Reichstag am Mittwoch zwei neue Gesetze zur Bestimmung der Geschlechtsidentität beschlossen. Wie auch künftig in Deutschland sehen sie für Betroffene die Möglichkeit vor, ihr Geschlecht weitgehend selbst zu bestimmen.

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Mit 234 zu 94 Stimmen hat der schwedische Reichstag nach einer sechs Stunde dauernden Debatte zwei Gesetze beschlossen, die Menschen die Änderung ihres juristischen Geschlechts erleichtern. Es gab keine Enthaltungen, 21 Abgeordnete waren allerdings abwesend, darunter die Vorsitzende des sozialistischen Frauenverbandes.

Das Vorhaben war auch innerhalb der Regierung umstritten

Das Gesetz war innerhalb der Mitte-Rechts Regierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson umstritten: Fast geschlossen dafür stimmten Kristerssons liberalkonservative Moderate Sammlungspartei und die Liberalen sowie die oppositionellen Sozialdemokraten, Linke, Grünen und die liberale Zentrumspartei, dagegen die mitregierenden Christdemokraten und die  rechtspopulistischen Schwedendemokraten, welche die Regierung tolerieren.

Das Gesetz erleichtert die Änderung des rechtlichen Gesetzes in Schweden und betrifft alle Personen, die in Schweden registriert oder schwedische Staatsbürger sind: Um das Geschlecht im Melderegister anzupassen, reicht eine einfache Bestätigung eines Arztes, dass das rechtliche Geschlecht derzeit und in „absehbarer Zukunft“ nicht mit der gefühlten Geschlechtsidentität übereinstimmt.

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Altersgrenze für die Entfernung von Hoden oder Eierstöcken bleibt

Ein bisher notwendiges Gutachten, das Geschlechtsdysphorie diagnostiziert, entfällt. Die Altersgrenze wurde von 18 auf 16 Jahre gesenkt. Bei Minderjährigen stellen die Erziehungsberechtigten den Antrag, die betroffene Person muss schriftlich zustimmen. 

Ein weiteres Gesetz regelt die medizinische Anpassung des Geschlechts. Nach dem bisher gültigen Transsexuellengesetz von 1972, dem ältesten der Welt, war dazu eine Genehmigung des nationalen Gesundheits- und Wohlfahrtsamtes notwendig. Diese entfällt nun. Das Mindestalter von 23 Jahren für die Entfernung von Hoden oder Eierstöcken bleibt bestehen, sofern keine außergewöhnlichen Gründe vorliegen. 

Beide Gesetze werden am 1. Juli 2025 in Kraft treten. 

Rechtspopulistische Schwedendemokraten poltern gegen das Gesetz

Schwedendemokraten-Parteichef Jimmie Åkesson verlor keine Zeit, um nach der Abstimmung weiter Stimmung gegen das Gesetz zu machen. „Ich finde es bedauerlich, dass ein Vorschlag, der offensichtlich keine Unterstützung in der Bevölkerung hat, so einfach angenommen wird“, sagte er und forderte eine Rücknahme des Gesetzes. Umfragen zufolge lehnen drei von fünf Schwed:innen das Gesetz ab.

Muharrem Demirok und Johan Hultberg, die Vorsitzenden der oppositionellen Zentrumspartei, zeigten sich mit dem Ergebnis hingegen zufrieden: „Endlich hat Schweden ein modernes Gesetz für die Geschlechtsidentität, das nur wenige von uns im Alltag betrifft, aber für diejenigen, die davon betroffen sind, wird es eine völlig neue Voraussetzung für ein funktionierendes Leben sein“, so Demirok.

Das sah man nicht in der gesamten Partei so. So stimmte Ellen Juntti von der Zentrumspartei das erste Mal seit 13 Jahren gegen die Parteilinie. „Ich kann einfach nicht dafür stimmen, dass 16-Jährige ihr rechtliches Geschlecht ändern dürfen. Ich halte das für falsch, es ist zu früh“, sagte sie dem Schwedischen Fernsehen SVT . Ähnliche Bruchlinien gab es auch in anderen Parteien, die für das Gesetz waren.

Schweden ist das letzte nordische Land, das die Geschlechtsanpassung vereinfacht

Schweden ist das letzte nordische Land, das die rechtliche Geschlechtsanpassung vereinfacht. In Norwegen können Bürger:innen seit 2016 ab dem Alter von sechs Jahren ihr Geschlecht im Melderegister mit dem Ausfüllen eines Formulars ändern lassen, bis zum 16. Lebensjahr muss mindestens ein Erziehungsberechtigter zustimmen.

In Dänemark wurde 2014 ein Gesetz eingeführt, mit dem das amtliche Geschlecht auf Basis der Selbstidentifizierung geändert werden kann. Wer sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt, kann ab dem Tag des 18. Geburtstags eine neue persönliche Identitätsnummer zugewiesen bekommen. Dazu sind eine schriftliche Erklärung und eine sechsmonatige Wartezeit nötig.

Ähnliche Regelungen im gesamten Norden

Finnland hat im April 2023 ein neues Gesetz eingeführt, das den juristischen und den medizinischen Prozess der Geschlechtsanpassung voneinander trennt. Auch in Finnland kann man ab dem 18. Geburtstag eine Änderung des amtlichen Geschlechts beantragen. Das vorher geltende Gesetz sah eine menschenrechtswidrige Zwangssterilisation vor.

Island hat wiederum 2019 ein Gesetz über die Änderung des eingetragenen Geschlechts verabschiedet: Ab dem 15. Geburtstag hat man das Recht, selbständig und ohne Gerichtsverfahren sein rechtliches Geschlecht zu ändern. Zuvor müssen die Erziehungsberechtigten zustimmen.

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