Samstag, 27. April 2024
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Parties und Chemsex: So kann der Teufelskreis durchbrochen werden

Nach meinem Erfahrungsbericht über meinen problematischen Drogenkonsum und die rasant steigende Tendenz von Chemsex-Partys in der schwulen Community habe ich sehr viele Zuschriften und Nachfragen erhalten. Dafür tut sich in mir größte Dankbarkeit auf, weil ich dadurch sehe, wie viele Menschen von der Thematik berührt werden, und dass da definitiv Diskussionsbedarf vorhanden ist.

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Es haben mich nach meinem ersten Artikel nicht nur Schwule kontaktiert, die selbst in die Suchtfalle getappt sind und es nach einem mehr oder weniger schwierigen Kampf vielleicht schon wieder heraus geschafft haben, sondern auch viele, die problematisches Verhalten im Freund*innenkreis beobachten und sich nicht zu helfen wissen – und Konsument*innen, die durch den Artikel nun zum Reflektieren ihres Konsumverhaltens angeregt worden sind. Grundsätzlich war der Zuspruch unglaublich groß, und mir ist viel Verständnis entgegengebracht worden.

Das war auch mein Ziel: Zum bewussteren Konsum anzustoßen, Mitmenschlichkeit und mehr Achtsamkeit bei Drogennotfällen oder deren Prävention auszulösen und öffentliche Stellen zu mehr proaktiver Arbeit vor Ort in der Szene aufzufordern.

Nur wenige bringen Sucht und Alltag, Party und Arbeit unter einen Hut

Die Lebensweise von vielen, die bereits tief in der Sucht stecken und da nicht mehr so einfach herauskommen, ist meist grenzwertig. Klar, Sucht nimmt verschiedene Formen an und auch hier gibt es die „funktionierenden“ psychisch Abhängigen, die nur am Wochenende Gas geben, vielleicht Freitagabend ausgehen, bis Sonntagfrüh durchfeiern und dann pflichtbewusst ans Aufhören denken und Montag ganz normal in ihr Arbeitsleben zurückkehren; unter der Woche dann brav ins Fitnessstudio gehen, sich ihr Gewissen durch vermeintlich ausgleichenden Sport reinzuwaschen versuchen und sich generell gut in den durchschnittlichen Alltag einfügen können. Das kann für viele lange gut gehen, aber auch hier wird sich der Körper für den Raubbau irgendwann revanchieren.

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Es gibt aber auch eine andere Gruppe, die das aber nicht schaffen, die sich auch mit ihren zahlreichen Notlügen – anderen genauso wie sich selbst gegenüber – und ihrer lebenskünstlerischen Lebensart nicht lange über Wasser halten können. Zu dieser Gruppe habe ich gehört. Denn irgendwann fällt das wackelige Kartenhaus einfach zusammen.

Auch ich habe lange für diese Erkenntnisse gebraucht

Wenn also E. meinen Beitrag auf Social Media teilt und meint, ich wäre jetzt „die Stimme für jene, die es bis dato nicht konnten“, so muss ich ehrlich zugeben, dass auch ich wirklich lange gebraucht habe um den Teufelskreis zu durchbrechen. Zehn Jahre lang habe ich Alkohol und Drogen auszunutzen gewusst, anfangs noch in viel geringen Maßen und höheren Intervallen als später.

In den letzten zwei Jahren kam dann die günstig erhältliche Substanz Mephedron, die zusammen mit mit GHB so weit in der schwulen Szene verbreitet ist, bei mir dazu. Einschlägige Chemsex-Parties habe ich dann besonders im letzten Jahr unglaublich oft besucht. Und so wie mir ging es dabei für einige nicht primär um die sexuellen Begegnungen, sondern vielmehr um den damit verbundenen Substanzgebrauch – und die Bekämpfung der Einsamkeit.

Es geht auch um die Bekämpfung der Einsamkeit und einen Sinn im Leben

Denn einsam sind wohl sehr viele Menschen des LGBTIQ*-Spektrums. Das ist mir in der gesamten Zeit meines aktivistischen und Szene-Daseins aufgefallen. Einsamkeit und der ewige Kampf um die eigene Existenzberechtigung nehmen in einem LGBTIQ*-Leben leider oft einen großen Platz ein.

Der sehr junge J. schreibt mir Beunruhigendes: „Seit September versuche ich aufzuhören. Ich will aufhören,  komme aber nicht von den Leuten weg, weil ich sonst niemanden habe. Feiern oder gewisse Leute heißt automatisch gewisse Drogen. Wenn man es sich einmal angewöhnt, dann bilden sich gewisse Verknüpfungen. Die Leute, inklusive mir, wissen gar nicht nehr, wie man richtig fortgeht – alle Leute,  die ich kenne, sind extrem tief drinnen. Ich kann mir niemanden irgendwas normal machen.“

Es zerreißt einem das Herz, das zu lesen. Nicht nur weil ich J. kenne und genau weiß, was er meint, sondern weil es mittlerweile fast flächendeckend so ist: Jeder fünfte Schwule gibt inzwischen an, regelmäßig an Chemsex-Parties teilzunehmen. Tendenz steigend.

Es gibt Hilfe

Allen Betroffenen und Angehörigen kann ich nur eindringlich ans Herz legen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dess es gibt sie, genau dafür ist sie da, und auch von der eventuell auftretenden Wiener Unfreundlichkeit sollte man sich in dem Fall wegen der Dringlichkeit nicht einschüchtern lassen. Die psychiatrische Abteilung des nächsten Krankenhauses wird immer Rat wissen.

Ich selbst habe den Weg beschritten, mich direkt an das Suchtzentrum im Otto-Wagner-Spital in Wien zu wenden und mich dort umfassend beraten und alle Möglichkeiten checken zu lassen. So wurde ich dann an den Grünen Kreis vermittelt, mit dem ich nun auf stationäre Therapie fahre – via Krankenkasse.

Es gibt aber auch spezifische Stellen wie das Chemsex-Netzwerk unter chemsex.at  oder den Verein PASS , der Psychotherapie zum Thema Sucht anbietet.

Den Psychosozialen Dienst (PSD) der Stadt Wien (Notruf: 01/31 330) empfinde ich ebenso als sehr hilfreich, dieser bietet Mental-Health-Allround-Beratung und ärztliche Versorgung.

Und abschließend, für alle, die sich das nicht alleine trauen: Sich dem Umfeld anzuvertrauen hilft auch schon enorm. Miteinander reden kann Leben retten, niemand ist allein mit seinen Problemen, und für alles gibt es eine Lösung. Das ist gewiss.

Dorian Alexander Rammer war unter anderem Bezirksrat, Fotograf und hat sich in den letzten zehn Jahren vielfältig in der LGBTI-Community engagiert. Seit Anfang 2023 ist er nüchtern. Hier schildert er die Reaktionen auf seinen persönlichen Erfahrungsbericht.

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