Freitag, 29. März 2024
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Wiener Heimkinder zu SM-Parties gezwungen?

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Wie das Ö1 Morgenjournal berichtet, sollen bereits missbrauchte Heimkinder bei Sexpartys Mitte der 1990er Jahre systematisch nochmals missbraucht worden sein. Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei haben mit Ermittlungen begonnen. Die mutmaßlichen Opfer werden von der Kinder- und Jugendanwältin der Stadt Wien unterstützt. Die Beschuldigten bestreiten alle Vorwürfe.

Einer der Zeugen, die jetzt von der Polizei erneut befragt wurden, ist mit zehn Jahren vom Jugendamt ein privates Heim für schwererziehbare Jugendliche in Wien-Hietzing eingewiesen worden. Nach einem Jahr habe er sich zu Putzdiensten für einen mittlerweile 57-jährigen Chef einer Reinigungsfirma einteilen lassen, um sich Taschengeld zu verdienen, so der heute 27-Jährige. Unter anderem putzte er in zwei Wohnungen, in denen SM-Parties stattgefunden haben dürften: „Wir sind mit dem Bus abgeholt worden, um zu putzen – schauen halt, dass unten im Keller die diversen Sex-Spielzeuge vorher und nachher geputzt werden. Fesseln, SM-Masken, Handschellen“, so der Mann gegenüber dem ORF Radio.

Für die Sexpartys mit zahlungskräftigen Sadisten dürften gezielt Kinder ausgewählt worden sein, die schon in der Familie sexuellen Missbrauch erlebt hatten, glaubt der Zeuge. In den Wohnungen hat er auch eigenen Aussagen zufolge Fotos von den Parties gefunden: „Männer unmaskiert in sexuellen Handlungen mit Heiminsassen, Heimkindern, unter 14-, 15-Jährige, die dort mitgemacht haben, Mädels von anderen Heimen, Burschen von anderen Internaten. Von diversen Stellungen bis zu Auspeitschen hast du alles auf diesen Fotos gesehen.“ Er sagte weiter, diese Bilder gesammelt und rund 170 davon einem Polizisten übergeben zu haben, seitdem sind sie offenbar verschwunden. Seinen Angaben zufolge sind Minderjährige zu sexuellen Handlungen gezwungen, aber auch dafür bezahlt worden.

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Ein heute 24-jähriges mutmaßliches Opfer bestätigt die Aussagen: „Es hat nicht nur Leute gegeben, die uns vergewaltigt haben, sondern auch welche, die haben uns nur gehaut. Glauben Sie mir, ich habe die abartigsten Leute kennen gelernt, die Abgründe eines Menschen kann man sich nicht vorstellen.“ Er ist sich sicher, bewusst ausgewählt worden zu sein, weil er keine Angehörigen hatte, die sich um ihn gekümmert hätten: „Ich war ja ein halbes Jahr, bevor ich ins [Heim] gekommen bin, in einem Krisenzentrum. Und dort war weder ein Besuch, noch sind meine Eltern gekommen. Und das steht alles in den Heimakten“, so der Mann gegenüber dem ORF Radio. Für den Fall, dass er den Missbrauch anzeigt, soll ihm mit Mord gedroht worden sein.

Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits ist froh, dass die Fälle wieder aufgerollt werden. Denn bereits vor zehn Jahren wurden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aufgenommen. Sie war damals für die Prozessbegleitung der männlichen Zeugen zuständig. Für sie seien die Vorwürfe der Jugendlichen damals glaubhaft gewesen, so Pinterits. Eine Verurteilung gab es damals aber trotzdem nicht – wegen Mangels an Beweisen.

Aus diesem Grund wurde auch der Unternehmer, der auch Drahtzieher der Aktivitäten sein soll, zweimal gerichtlich von den Vorwürfen freigesprochen. Deshalb ist es auch fraglich, ob es zu einer erneuten Anklage kommen könnte. Das hänge – so Staatsanwaltssprecher Thomas Vecsey – davon ab, ob „nunmehr neue Beweismittel vorliegen, die eine Wiederaufnahme rechtfertigen könnten“.

Der Unternehmer selbst vermutet hinter den neuerlichen Vorwürfen einen Erpressungsversuch. Alle überprüfbaren Behauptungen der Belastungszeugen hätten sich zuletzt 2002 als unwahr herausgestellt, sagt er dem ORF Radio. Für ihn gilt – wie für alle Beteiligten – die Unschuldsvermutung. Sein Anwalt geht von einer Retourkutsche des Hauptbelastungszeugen aus, der wegen versuchten Mordes an einem Taxilenker eine langjährige Haftstrafe verbüßt. Dieser habe aus versucht, seinen Mandanten aus dem Gefängnis zu erpressen. Darauf habe der Unternehmer Anzeige wegen gefährlicher Drohung erstattet. Die Wohnungen, in denen die Sexpartys mit den minderjährigen Buben stattgefunden haben sollen, seien schon damals von den Ermittlungsbehörden untersucht worden: „Dort haben teilweise 90 Jahre alte Pensionistinnen gelebt“, so der Anwalt gegenüber der APA.

Das Heim wird in der Sachverhaltsdarstellung nicht nur beschuldigt, in die SM-Partys verwickelt worden zu sein. Auch im Heim selbst soll es Übergriffe gegeben haben. So soll ein Erzieher einen Zögling sexuell belästigt haben, indem er diesem während des Schlafs auf die Genitalien griff. Die Heimleitung weist alle Vorwürfe zurück. Der Verein, der das Heim betreibt, war zu keinem Kommentar bereit. Man behalte sich „eine Stellungnahme zu gegebener Zeit vor“.

Dass die Stadt Wien erneut Anzeige erstattet hat, geht nach Informationen des ORF Radio auf die Initiative ehemaliger Heimkinder und eines ehemaligen Lehrers zurück. Diese Anzeige ist am 12. April bei der Staatsanwaltschaft eingelangt. Seitdem wird gegen den Unternehmer, zwei weitere namentlich bekannte Männer und drei derzeit noch nicht identifizierte mögliche Mittäter ermittelt. „Die Vorwürfe lauten auf Vergewaltigung, schweren sexuellen Missbrauch, Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses und sexuelle Belästigung“, bestätigt Vecsey. Die Anzeige sei der Polizei übermittelt worden, die mittlerweile die Untersuchungen aufgenommen habe.

Nicht nur die angeblich verschwundenen Fotos der Sexparties sind eine der großen Ungereimtheiten dieses Falles: Der 27-jährige Zeuge berichtet außerdem, fünf weitere Zeugen zu kennen, die das Gericht vor zehn Jahren nicht befragt haben soll.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft hat mittlerweile für Opfer von Misshandlungen und sexueller Gewalt in städtischen Heimen eine Hotline eingerichtet. Sie ist unter 01/70 77 000 erreichbar.

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