Donnerstag, 18. April 2024
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„Drittes Geschlecht“ in Österreich: Das sind die rechtlichen Auswirkungen

Die Standesämter müssen nun einen diversen Geschlechtseintrag akzeptieren

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Die Republik Österreich muss in ihren Dokumenten neben „männlich“ und „weiblich“ auch eine dritte Möglichkeit beim Geschlechtseintrag einführen. Das hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Freitag entschieden. Er gab damit einer Beschwerde des Intersex-Aktivisten Alex Jürgen statt. Und diese Entscheidung hat zahlreiche rechtliche Auswirkungen.

Die Personenstandsbehörden müssen das Geschlecht so eintragen, wie es der Identität des Betroffenen betrifft

In der Praxis bedeutet das Urteil, dass ab sofort die Personenstandsbehörden das Geschlecht jedes Menschen so einzutragen müssen, dass es seiner individuellen Geschlechtsidentität entspricht. Ist diese noch nicht selbstbestimmt festgelegt, muss die Behörde das entsprechende Feld offen lassen oder  ersatzlos löschen.

Dabei darf es nicht auf körperliche Merkmale, sondern nur auf die selbst eingeschätzte Geschlechtsidentität ankommen. Medizinische Attests zu verlangen ist dabei nicht zulässig, so die Rechtsprechung. Bereits im Jahr 2009 hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) entschieden, dass körperliche Merkmale auch bei der Personenstandsänderung von Trans-Personen keine Rolle spielen dürfen.

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Niemand muss die staatlichen Geschlechtszuschreibungen akzeptieren, urteilt der VfGH

Außerdem stellt der VfGH klar, dass dieser Anspruch nur auf solche Geschlechtsangaben besteht, die die eigene Geschlechtsidentität passend zum Ausdruck bringen – also einen realen Bezugspunkt im sozialen Leben haben und nicht frei erfunden sind. Ausdrücklich zulässig erklärt der VfGH in diesem Zusammenhang die Bezeichnungen „divers“, „inter“, „offen“ und vergleichbare Bezeichnungen.

Dabei muss niemand Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelungen akzeptieren, die der eigenen Geschlechtsidentität nicht entsprechen, so der VfGH. Es muss auch möglich sein, das Feld „Geschlecht“ freizulassen. Welcher Begriff sich von Amts wegen durchsetzt, ist noch unklar. Der Gesetzgeber wird aller Wahrscheinlichkeit nach einen Begriff schaffen, der möglichst viele Geschlechtsidentitäten umfasst.

Keine großen Auswirkungen auf Pensionsalter und Wehrpflicht erwartet

Auf das Pensionsantrittsalter und die Wehrpflicht dürfte die Entscheidung des VfGH keine größeren Auswirkungen haben. Denn das Pensionsantrittsalter wird derzeit harmonisiert, der frühere Pensionsantritt bei Frauen gehört bald der Vergangenheit an. Welches Alter für intergeschlechtliche Personen in der Übergangszeit gelte, müsse gegebenenfalls festgelegt werden, so die Juristin Marija Petrecevic gegenüber dem Standard.

Wehrpflichtig sind nur Männer – diese Regelung kann also bestehen bleiben. Dass die Einführung des Dritten Geschlechts missbraucht wird, um sich vor der Wehrpflicht zu drücken, halten Experten für unwahrscheinlich. Bürgerrechtsanwalt Helmut Graupner, der Alex Jürgen vertreten hat, nennt die  Wahrscheinlichkeit dafür „ziemlich ausgeschlossen“.

Auch an den heimischen Schulen wird das Urteil seine Spuren hinterlassen, sind Experten überzeugt

Auch für den Bildungsbereich wird das Urteil weitreichende Folgen haben, ist die Bildungswissenschaftlerin Martina Enzendorfer von der Universität Wien überzeugt. „Dieser ist wesentlich an der Formung von Geschlechterverständnissen beteiligt und wirkt bislang an der Unsichtbarkeit intergeschlechtlicher Personen systematisch mit“, erklärt sie.

Enzendorfer hofft, dass die rechtliche Anerkennung intersexueller Menschen eine Grundlage biete, „dieser Marginalisierung entgegenzuwirken und Geschlecht in seiner Vielfalt wahrzunehmen“.

In Deutschland, Malta oder Australien gibt es ähnliche Entscheidungen und Regelungen

In Deutschland hat das zuständige Bundesverfassungsgericht bereits im November 2017 in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass es beim Geschlechtseintrag eine dritte Möglichkeit geben muss. Das zuständige Bundesinnenministerium bereitet gerade die dafür notwendigen Anpassungen vor. Ähnliche Regelungen wie die vom VfGH geforderte gibt es bereits etwa in Australien, Neuseeland, Malta oder Indien.

Der VfGH folgte mit seiner Entscheidung unter anderem einer Empfehlung der Bioethik-Kommission im Bundeskanzleramt und der Volksanwaltschaft. Auch Stellungnahmen internationaler Gremien wie der europäischen Grundrechteagentur (FRA) und UN-dem Kommissar für Menschenrechte sprechen sich für eine dritte Option beim Geschlechtseintrag aus, betont Eva Matt, Rechtsexpertin und Obfrau der Plattform Intersex Österreich.

 

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