Dienstag, 19. März 2024
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Tschetschnien: Staatsanwalt ermittelt, Polizei mauert

Beamte wollen nicht mit den Ermittlern sprechen, hochrangige Polizisten werden plötzlich krank

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Bei den Ermittlungen wegen der systematischen Verfolgung schwuler Männer in Tschetschenien macht Moskau nun offenbar Druck – doch in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny versucht man offenbar, die Ermittlungen zu blockieren. Das berichtet die russische Zeitung „Novaya Gazeta“, die Anfang April auch als erste über die Verschleppungen berichtet hatte.

Föderale Staatsanwaltschaft ermittelt – und das sorgfältig

So habe die föderale Staatsanwaltschaft Russlands ihre Ermittlungen in der Causa aufgenommen – und tschetschenische Politikern reagierten darauf mit „Panik und Sabotage“, so die Zeitung. Die Ermittlungen hat Igor Sobol übernommen, der dafür bekannt ist, sich politischem Druck nicht zu beugen. Thema der Ermittlungen seien die Verfolgung schwuler Männer und die Drohungen gegen die Redaktion der „Novaya Gazeta“ aufgrund ihrer Berichterstattung.

Erste Basis der Vorermittlungen sind dabei offenbar die Recherchen der „Novaya Gazeta“. Sobol hat sich Ende April mit den zuständigen Redakteurinnen getroffen, später haben sie ihre Erkenntnisse dem Sonderermittler übergeben. Darunter waren auch jene Informationen, die nicht in der Zeitung veröffentlicht würden, wie beispielsweise die Namen jener drei Männer, die während der Verschleppung getötet worden sein sollen. Darunter befand sich auch ein Soldat der russischen Nationalgarde, wie die Zeitung am Montag erstmals berichtete. Unter den Rechercheergebnissen seien auch die Namen von Personen, die an der Verfolgung beteiligt gewesen sein sollen und die Adressen von zwei Orten, an denen die schwulen Männer nach Erkenntnissen der „Novaya Gazeta“ festgehalten und gefoltert worden sind.

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Sobol arbeite gründlich, berichtet die Zeitung. Allerdings sind die Möglichkeiten, die er bei Vorermittlungen hat, nach russischem Recht beschränkt: So kann der Sonderermittler nur mit Vorladungen, Auskunftsersuchen und Inspektionen arbeiten. Er kann in diesem Stadium der Ermittlungen keine Verhöre unter Eid durchführen, keine Durchsuchungen anordnen und auch keine kriminalwissenschaftlichen Untersuchungen in Auftrag geben.

Tschetschenien blockiert die Arbeit des Sonderermittlers

Dem entsprechend gehen Tschetschenische Offizielle nun auf Tauchstation: Nach Informationen der „Novaya Gazeta“ blockieren sie die Arbeit des Sonderermittlers, wo sie nur können – trotz des Versprechens des tschetschenischen Präsidenten Ramona Kadyrow, die Ermittlungen zu unterstützen.

So hätten Polizisten eine Teilnahme an der Untersuchung zunächst abgelehnt und seien erst nach Drohungen der Sonderermittler bereit gewesen, sich mit ihnen zu treffen. „Natürlich haben sie alle die Vorfälle, die in unserer Zeitung beschrieben wurden, geleugnet, aber sie waren sehr nervös“, schreibt die Zeitung.

Der Leiter der Landespolizei von Argun, einer Stadt in der Nähe von Grozny, „meldete sich krank, als er erfuhr, dass der Untersuchung die persönlichen Daten von rund einem Dutzend Personen vorliegen, die ermordet wurden, und dass es zu Exhumierungen kommen könnte“. Das Gefängnis in Argun, in dem nach derzeitigen Berichten dutzende schwule Männer gefangen gehalten und gequält wurden, wurde „bis zum Dach mit frischem Schutt aufgefüllt“, so die „Novaya Gazeta“ unter Berufung auf die Ermittler. Deren Inspektion habe allerdings ergeben, dass die Details des Gefängnisses wie etwa die Lage der Räume mit den Angaben der Gefangenen übereinstimmten.

Und auch Heda Saratow, die Sprecherin des tschetschenischen Menschenrechtsrates, erkrankte plötzlich, als die Ermittler mit ihr sprechen wollten. Der Polizeichef von Grosny erklärte gegenüber den Ermittlern, schwule Männer würden nicht verfolgt werden – „selbst wenn diese Paraden in der Innenstadt von Grosny abhalten“.

Nun werden Verwandte eingeschüchtert, damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt

Außerdem sollen die Behörden mittlerweile aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit aufgehört haben, schwule Männer einzusperren. Stattdessen werden die Betroffenen und ihre Angehörigen nun eingeschüchtert: Sie sollen Erklärungen unterzeichnen, denen zufolge der Betroffene Tschetschenien Ende Februar verlassen habe, um in Moskau zu arbeiten. Außerdem stelle man keine Vorwürfe an tschetschenische Behörden.

Die Verwandten werden außerdem angehalten, die Opfer zu kontaktieren, damit sie sich nicht an die föderale Staatsanwaltschaft wenden. Ein entsprechender Telefon-Mitschnitt liegt der „Novaya Gazeta“ vor. Über diese Taktik hatte vor einigen Tagen bereits das russische LGBT-Network berichtet, das geflüchteten Tschetschenen in Russland hilft.

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