Sonntag, 12. Mai 2024
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Mehr als 150 Festnahmen bei Pride-Demos in der Türkei

In den türkischen Großstädten Istanbul und Izmir hat die Polizei am Sonntag zahlreiche Teilnehmer:innen an den Pride-Demonstrationen festgenommen. Ein offizielles Verbot der Veranstaltung gab es in Istanbul nicht.

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Nach Angaben des Gouverneurs der Provinz Istanbul, Davut Gül, sind bei der Pride-Demonstration in Istanbul 113 Menschen festgenommen worden, darunter laut Medienberichten auch Personen, die nur zur falschen Zeit in einem Café saßen. In Izmir wurden nach Angaben der Veranstalter:innen beim Versuch, eine Pride abzuhalten, mindestens 48 Menschen festgenommen.

Kein offizielles Verbot, aber massiver Polizeieinsatz

Ein offizielles Verbot der Istanbul Pride hatte der Gouverneur nicht erlassen. Trotzdem hatte die Polizei bereits am Vortag den zentralen Taksim-Platz samt seinen Zugängen abgeriegelt und auch andere Ecken der Innenstadt für Passant:innen gesperrt, um die Versammlung zu verhindern. 

Daraufhin wichen etwa 200 Teilnehmer:innen auf das Nobelviertel Nisantashi aus. Sie trafen sich schon mehrere Stunden vor Beginn der Demonstration an geheimen Orten. Schließlich ließen sie eine meterlange Regenbogenflagge von einem Gebäude wehen und verlasen – wie auch in den letzten Jahren – eine Presseerklärung. An der Veranstaltung nahmen mehrere hundert Menschen teil.

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„Keine Aktivitäten, die die Institution der Familie schwächt“

Immer wieder wurden die Teilnehmer:innen von schwer uniformierten Polizist:innen eingekesselt. Am Rande der Istanbul Pride wurde nach Informationen von Aktivist:innen zwischenzeitlich eine kleinere Gruppe von Journalist:innen und Anwalt:innen an einer Straßenkreuzung umzingelt, dann aber wieder freigelassen.

„Unsere nationale Zukunft hängt davon ab, dass die Institution Familie mit unseren nationalen und geistigen Werten lebendig bleibt. Wir werden keine Aktivitäten zulassen, die die Institution der Familie schwächt“, so Gül auf Twitter: „113 Personen wurden festgenommen, weil sie Proteste mit der Absicht der Propaganda organisiert haben.“

Seit 2015 wird die Istanbul Pride jedes Jahr verboten

Seit der Machtübernahme des religiös-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan von der AKP im Jahr 2015 werden die Istanbul Pride und die Trans Pride in Istanbul, die in der Vorwoche das erste Mal seit 2017 wieder stattgefunden hat, verboten. Im letzten Jahr gab es bei der Istanbul Pride noch mehr als 300 Festnahmen.

Gül hatte dieses Jahr bereits mehrere Veranstaltungen in Zusammenhang mit dem Pride-Monat untersagt, darunter etwa ein Picknick und eine Filmvorführung, bei der es ebenfalls zu Verhaftungen kam.

Auch Gewalt gegen Paraden-Teilnehmer in Izmir

Auch in Izmir soll die Polizei mit deutlicher Gewalt gegen die Pride vorgegangen sein. Berichten zufolge umzingelte sie in der Innenstadt Menschen, die offenbar auf dem Weg zur Pride waren, und zerrte sie in einen Mannschaftsbus. Den Pride-Organisator:innen zufolge waren die Festgenommenen im Bus Gewalt und Schikanen ausgesetzt. Personen, die später eintrafen, versuchte sie zu zerstreuen und teilweise ebenfalls festzunehmen. 

Yavuz Selim Köşger, der Gouverneur von Izmir, hatte zuvor unter Verweis auf die Pride für das Wochenende praktisch alle Aktivitäten im Freien untersagt – von Versammlungen über Infostände und dem Aufhängen von Bannern bis zu Picknicks.

Während sowohl in Istanbul als auch in Izmir Bürgermeister der LGBTI-freundlicheren kemalistisch-sozialdemokratischen CHP regieren, sind für Polizei und Versammlungen die jeweiligen Gouverneure verantwortlich. Diese werden zentral von der AKP-Regierung in Ankara bestimmt.

Update 26.6., 14.45: Zahl der Verhafteten aktualisiert, aktuelles Zitat von Davut Gül ergänzt